Erklärte Moderne
Musik des Bürgerkriegs und feinste Elektronika: Das „Herztöne“-Wochenende des Schleswig-Holstein Musik Festival auf Kampnagel
von ALEXANDER DIEHL
Kampnagel nimmt als Spielort des Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) wieder eine Sonderstellung ein: Ein betont SHMF-untypisches Publikum soll mit einem erklärt modernen Programm gewonnen werden. Gewissermaßen das Herz der „Herztöne“ ist morgen die Doppelveranstaltung „Sonarsound“, kuratiert von den Machern des Sonar, dem vielleicht bedeutendsten Festival für elektronische Musik weltweit: zwei Blöcke – „Sonarsound by day“ und „by night“ – vom Besten, was derzeit an elektronischer Musik diesseits akademischer Experimentalzirkel zu kriegen ist.
Das Kampnagel-Foyer beschallen nachmittags Tito und danach The Nairobi Trio mit Ambient und „futuristischer Cocktail Music“. Nebenan treten währenddessen Vertreter des „digital abstractions“-Labels Mego-Alku auf, gefolgt vom AGF/DELAY Soundsystem um Laub-Hälfte Antye Greie-Fuchs und den finnischen Produzententausendsassa Sasu Ripatti. Ab 18 Uhr spielen Balago (Barcelona) ihren verhalten-hypnotischen Drone-Ambient, anschließend widmet sich Golan Levin den musikalischen Möglichkeiten von Kommunikationsapparaturen.
Abends beherbergt die Halle –neben Hamburgs Rumpel-Elektropunkern 8doogymoto und dem umtriebigen Musiker, Hörspielmacher und Labelbetreiber Felix Kubin – Super_Collider, das Duo aus Jamie Lidell und Cristian Vogel, mit seinem einzigartig hybriden Zukunfts-Soul – eine der spannendsten und gelungensten Versuche, Elektronik auf eine Art Songformat zurückzuführen. Grandios! Vogel performt zu vorgerückter Stunde nochmal solo im Kampnagel-Klub, davor legt Aleix Vergés alias Sideral experimentellen wie geradlinigen Techno auf. Auf Vogel folgt mit Luomo alias Vladislav Delay einer der besten Namen avancierter Reduktion bei uneingeschränkter Tanzbarkeit.
Anders gelagert, gleichwohl nicht weniger empfehlenswert ist, was „Herztöne“ heute Abend zu bieten hat: Unter dem Titel „Buñuel und seine Zeit“ vertont das Ensemble Modern nicht nur den wohl legendärsten Film des genannten Regisseurs, Un chien andalou (1929). Dem diesjährigen SHMF-Länderschwerpunkt gemäß widmet man sich außerdem in einem bemerkenswert zusammengestellten Programm dem Spanischen Bürgerkrieg und seinen Auswirkungen auf die Künste. Neben Arbeiten von Conlon Nancarrow, selbst Teil der republikanischen Lincoln-Brigade, Paul Dessau („Guernica“), Silvestre Revueltas und Roberto Gerhard bildet George Crumbs „Ancient Voices of Children“ den Schwerpunkt. Fußend auf Texten des von Faschisten ermordeten Dichters Federico García Lorca. „Ein Meisterwerk“, wie 1970 die New York Times befand, „Musik, die unverzüglich zum Leben erwacht.“
„Buñuel und seine Zeit“: heute, 20 Uhr; „Sonarsound“: morgen, 16/21 Uhr, Kampnagel
