themenläden und andere clubs
: Von Mitte bis in den Wedding erstreckt sich der Russenclub-Parcours

Pinkeln mit Aufpasser

In der Linienstraße gibt es eine kleine grüne Tür, die ins Souterrain führt. Dort befindet sich der Bibliotheksclub des Stillen Museums von Nikolai Makarow, dem die „Sergej Mawritzki Stiftung“ zu verdanken ist. Die Stiftung dient der deutsch-russischen Verständigung. Der Club ist in den roten Farben der Tretjakow-Galerie gestrichen, an den Wänden stehen Regale mit sowjetischen Büchern und Zeitungen der letzten fünfzig Jahre. Auf den Tischen brennen Kerzen. Der ausgestopfte Hund in einer Ecke gehörte der Mäzenatin Frau Mawritzki, nach deren früh verstorbenem Sohn die Stiftung genannt wurde.

All das steht in scharfem Kontrast zu der Baustellen-Kultur vor dem Haus Nummer 154a. Wenn man die Linienstraße weiter geht in Richtung Rosenthaler Platz, kommt man zum Garnisons-Friedhof. Dort hört man an der Ecke einmal in der Woche die ganze Nacht, wie sich Leute auf Russisch unterhalten. Sie stehen im Hof einer zugewachsenen Garage, die sich „Waffengalerie“ nennt. Drinnen spielen jeden Freitag russische DJs moderne Tanzmusik, manchmal geben auch russische Bands Konzerte. Der Freitag ist allein den Russen vorbehalten, am Samstag und Sonntag treten auch Nicht-Russen in der Garage auf, die jedoch längst nicht so fröhliche Musik machen. Zu den Russischsprechenden gehören viele Slawistik- und Osteuropa-Studenten, die dort erste Annäherungen an den Ostblock wagen. Manchmal kommt es dabei auf dem Hof zu heftigen Diskussionen.

Der einzige echt wirkende Russe vor dem „Dom Kultury Berlin“, gleich um die Ecke in der Torstraße, ist ein Pole. Im DKB treffen sich „Die Freunde der russischen Musik“ zu Lesungen, Filmvorführungen und kleinen Konzerten. Der Club ist Anlaufstelle für Russen, die neu in Berlin sind. Das Auskunftsangebot reicht von Wohnunterkünften über Behördenöffnungszeiten bis zur Uni-Immatrikulation. Die Meinungen über das DKB selbst sind widersprüchlich: Den einen ist es zu unruhig und ungemütlich, weil man zum Beispiel zum Pinkeln einen Aufpasser braucht, da die Toilettentür nicht abschließbar ist. Den anderen ist der Club inzwischen zu ruhig und konsumistisch. Einig ist man sich jedoch, dass er wichtig ist. Direkt vor der Tür steht an der Straße ein gusseiserner Poller mit Handschellen dran. Dort hatten Polizisten im vergangenen Jahr ein Auto gestoppt und einen der Insassen angekettet. Als sie ihn mitnehmen wollten, vergaßen sie die Handschellen am Poller. Diese werden seitdem von den Club-Besuchern zum Anketten von Fahrrädern benutzt.

Der nächste Club befindet sich im Wohn- und Geschäftskomplex der Voltastraße, eine im zweiten Stock liegende authentische russische Disco. Man fährt mit dem Aufzug hoch und steht oben sogleich vor mehreren Billardtischen. Zur Diskothek muss man an zwei Bars vorbei in einen anderen Raum gehen. Das ganze wirkt wie eine Siebzigerjahre-Tanzveranstaltung in der kasachischen Provinz. Es gibt dort keine Weddinger, auch viele Russen trauen sich nicht dorthin. Und wenn, dann nur zu mehreren. Dabei sind die Leute alle sehr freundlich. Die DJs bevorzugen eine Mischung aus britischer und russischer Popmusik. Einmal organisierte dort das DKB ein Konzert mit einer Petersburger Band, die à la Tom Waits aufspielte.

Russen-Diskotheken auch in Marzahn und Hellersdorf: Dort treten gelegentlich russlanddeutsche Rapper auf, die ihren Frust auf Deutschland freestylend ablassen. Es gibt schon über zwanzig solcher Russen-Rapgruppen in Deutschland.

EKATERINA BELIAEVA