Psychoterroristen

Wie aus einem Mobbing-Berater ein Angeklagter wurde: Alfred Fleissner steht wegen Beleidigung vor Gericht. Es könnte ein Prozess aus Rache sein

Alfred Fleissner hilft Mobbing-Opfern. Menschen, die in ihren Betrieben oder Familien schikaniert werden, kommen zu dem Verein Klima (Konflikt-Lösungs-Initiative-Mobbingopfer-Anlaufstelle), den er mitbegründet hat und in dessen Vorstand er seit Jahren ist. Manchmal hilft Fleissner durch Zuhören und Ratschläge, manchmal vermittelt der Kognitionswissenschaftler und Hirnforscher, sucht gemeinsam mit den zerstrittenen Parteien nach Auswegen. Nach der Devise: „Es gibt keine Täter und Opfer, niemand muss sich entschuldigen.“ Nun steht er vor Gericht, ist der Beleidigung angeklagt.

Das kam so: Fleissner betreut seit mehr als zwei Jahren eine Zöllnerin, die in verschiedenen Dienststellen so lange gemobbt wurde, bis sie krank wurde. Monatelang hat Fleissner versucht, einen externen Berater in dem Konflikt vermitteln zu lassen. Die zuständige Hamburger Oberfinanzdirektion (OFD) beschied, man könne das Problem intern regeln. Man konnte es bis heute nicht, inzwischen soll doch ein Externer vermitteln.

Doch der Fall, um den es am Montag vor Gericht geht, liegt ein knappes Jahr zurück: Nach monatelanger Krankschreibung wollte die Frau eine Reise machen. Fleissner riet ihr, Resturlaub zu beantragen. Das tat sie. Die Nachricht, dass der ihr nicht bewilligt wurde, erreichte sie allerdings nicht. Und so erschien sie an ihrem vermeintlich ersten Urlaubstag nicht zum Dienst. Das veranlasste einen Personalsachbearbeiter ihrer Behörde, bei dem behandelnden Arzt nachzufragen, ob die Dame weiter krankgeschrieben sei. Auf die ärztliche Schweigepflicht verwiesen, soll der Mann gedroht haben, man werde wohl die Wohnung der Frau aufbrechen müssen, sie könnte sich ja etwas angetan haben. Das jedenfalls sagt Fleissner, habe die Sprechstundenhilfe der Beamtin erzählt.

Anschließend telefoniert Fleissner mit dem Sachbearbeiter und stellt ihm in eine Anzeige wegen „Körperverletzung durch Psychoterror“ in Aussicht, sollte sich der Verdacht der Drohung bestätigen. „Ich erklärte ihm, dass ich es aber ebenso für möglich halte, dass er selbst es gar nicht böse meine, sondern dass er auf Weisung durch den Präsidenten gehandelt habe.“ Die beiden sprechen über Mobbing, und dass man das auch Psychoterror nennen kann. Nun steht Fleissner vor Gericht, weil er gesagt haben soll, der besagte Finanzpräsident agiere als „oberster Psychoterrorist“.

Das hat offenbar der Sachbearbeiter seinem Chef erzählt, und der Oberfinanzpräsident hat Fleissner wegen Beleidigung angezeigt. Der sagt: „Ich habe vergeblich in meiner Erinnerung gekramt, ob ich in irgendeiner Form ein Interesse daran gehabt haben könnte, eine strafbare Aussage zu machen.“ Er sei im Gegenteil bemüht gewesen, ohne direkte Schuldzuweisung weitere Möglichkeiten zu finden, wie vermeintliche Schikane durch Missverständnisse zustande gekommen sein könnte, um eine Kehrtwende ohne Gesichtsverlust anzuregen. Fleissner glaubt vielmehr, „dass hier ein politisch motivierter Prozess inszeniert wird, um eine unbequeme Person auszuschalten“.

Unbequem ist er der OFD, seit der Verein „Klima“ sich 1999 eines Mobbingopfers in der OFD angenommen und öffentlich gemacht hatte. Der Verein hatte aufgedeckt, dass ein hoher Beamter seiner Geliebten an einem Referatsleiter vorbei zu einer Karriere verhalf: Von der EDV-Sachbearbeiterin zur rechten Hand des Chefs. Ihre Beförderung hatte die Demontage des Referatsleiters zur Folge. Gegen den bisher immer positiv beurteilten Beamten hagelte es Verdächtigungen, Abmahnungsdrohungen. Nach einem Artikel in der MOPO wurden die Liebenden wegen Falschaussagen zu Geldstrafen verurteilt. Alfred Fleissner war auch damals Vorstandsmitglied bei Klima.

SANDRA WILSDORF

Der Prozess beginnt am Montag um 9 Uhr, Strafjustizgebäude, Sievekingplatz 3, Zimmer 292