Randgruppe Travestie-Besucher

Das Gastspiel „Cristina – die Zarah-Leander-Sensation aus Amsterdam“ lockt mit ihrem neuen Programm. Das Ehepaar Merkel genießt den Abend im Schnoor. Ihr Kommentar:„Wunderbar, ganz wunderbar.“ Und wirklich, Cristina singt ganz wie die große Diva in ihren goldenen Jahren

Nix mit schummrig, klebrig, billig. Das Travestie (TV) -Theater im Schnoor hat so was ganz anderes. Es hat was Glamuröses, Edles, Feines. Das Ehepaar Merkel geht da gerne von Zeit zu Zeit hin. Nicht zu oft, denn TV-Fans sind sie nicht unbedingt, eher Normalos mit einem lasziven Hang zu hauchherben Frauenstimmen. Und einen masochistischen Tick haben sie auch.

Die Show bietet bei Besuchen im Halbjahreszyklus nicht wirklich neue Gags, und schlimmer als TV-Scherze sind TV-Scherze, die man schon kennt. Warum also geht man dorthin? Na klar. Das Ambiente und die anderen Besucher, die Merkels. Nirgendwo sonst ballt sich die Randgruppe „Normalo“ enger zusammen, als in dem kleinen Kreuzgewölbe im Keller von Madame Lothar. Kassengestelle auf fettig schwitzenden Nasenbeinen. Ungeschminkte Mädchen im weißsockigen Jeanslook. Pensionierte Sofasitzer, die tatsächlich aussehen, als seien sie fürs Sofasitzen in Rente gegangen. Ja! Man ist hier unter Gleichen. Es ist kurz vor halb zehn, die Show beginnt gleich, und die Merkels wissen wieder, dass sie nicht allein sind auf der Welt.

Höhepunkt des Abends ist der Auftritt von Cristina. Niemand singt Zarah Leander kraftvoller und erhabener als Cristina aus Amsterdam. Doch bis zu ihrem Auftritt prasselt das bewährte Madame-Lothar-Programm auf das Publikum hernieder. Warten oder amüsieren? Amüsieren. Also her mit den Sofasitzern. Gleich nach den ersten warum-haben-Männer-Hoden-Scherzen, kommen die Merkels mit einer Hand voll alternder Sesselkissen ins Gespräch. In dieser Altersklasse ist Stimmung garantiert. Während das jüngere Publikum noch rätselt, ob Madame Matthias überhaupt noch einen Schwanz hat oder ob er nur geschickt noch oben gebunden ist, können sich die älteren Herrschaften richtig amüsieren.

„Wunderbar, ganz wunderbar“, trällern die Gattinnen. Ihren Herren laufen Tränen über das Gesicht und fließen gemütlich in den Rinnen der Lachfalten ab. „Klar, Hamburg ist natürlich noch was anderes. Aber ist es nicht toll, dass es so etwas in Bremen gibt?“ Klar. Das ist toll. Alle lachen jetzt, ob flacher Witz oder nicht. „Das ist wie bei Pro Sieben“, sagt eine der Gattinnen. Und dann ist sie da: Cristina. Millionen blauer Pailletten knallen von der Bühne. Wow. Was für ein Kleid.

Als „Zarah-Leander-Sensation aus Amsterdam“ wird sie angekündigt, wenn sie nicht gerade auf Tour ist, lebt und singt sie in Hamburg. Leidenschaftlich ist sie, ganz und gar. Hauchherb würde ihre Stimme nur unzureichend beschreiben. Hauchherb, mit einem Klangvolumen fürstlicher Parkanlagen. Seltenes von Zarah Leander hat sie mitgebracht, und sie weiß so einige Geschichten über die Femme Fatale aus Schweden und den einst teuersten Ufa-Star Deutschlands. Niemals würde Cristina die große Diva parodieren. Sie interpretiert und, ja, imitiert sie. Form und Höhe ihrer Frisur gleichen der, die Zarah Leander während ihrer Abschiedstournee 1972 trug. Die eigenartige, dunkle und auch mal schrille Stimme, klingt wie das Orginal. Fantastisch. Das gesamte, jetzt gar nicht mehr klein wirkende, Theater ist hin und weg.

Zarah Leander (1902-1988), eigentlich hieß sie Stina, wurde schon zu Lebzeiten kopiert und parodiert. In einem ihrer Filme, „Der falsche Millionär“, von 1931 gibt es eine Einstellung, in der Hotelpagen ihre Stimme imitieren. Schlechte Imitate tingeln zu Hauf durch Deutschlands Cabarets. Cristina ist da eine Ausnahme. Vielleicht weil sie die Diva in Amsterdam kennengelernt hat. Irgendwie muss dabei der Leander-Geist auf sie übergesprungen sein.

Dann ist es auch schon vorbei. Den Merkels hat es gefallen und neue Freunde haben sie auch gefunden. Hannes Krug

„Cristina, die Zarah Leander Sensation“ gastiert noch bis 24. August im Travestie-Theater im Schnoor. Die Karten kosten 15 bzw. 22 Euro und gibt es unter ☎0421–3379191