Auge kann Druck machen

Start der Fußballbundesliga-Saison 2002/03. Ein Gastkommentar aus dem „Kicker“

Die Liftboys der Liga machten sich als Serientäter in Sachen Meisterschaft einen Namen

BERLIN taz ■ Zum 40. Mal startet die Bundesliga in eine neue Saison. Die Vorzeichen stehen durchaus positiv. Dies lässt erahnen, dass auch die Spielzeit 2002/03 einen weiteren Höhenflug für Fans und das gesamte Umfeld bietet. Und wir alle hoffen, dass sich auch mal wieder ein Außenseiter in die Phalanx der Großen einschleichen könnte. Am Anfang jeder Saison stehen viele Fragezeichen. Alles spricht dafür, dass uns wieder eine Saison voller Spannung bevorsteht. Was wir uns nicht mehr wünschen: die Pulks von Spielern, die Schiedsrichter bedrängen.

Nachdem vor zwei Jahren noch Begräbnisredner Hochkonjunktur hatten, besteht die Gefahr, dass sich Fußballdeutschland auf den Lorbeeren ausruhen könnte. Eine viel größere Gefahr ist, dass wir die Erwartungen zu hoch stecken. Wird es bei den Gehältern einen Umkehrschub geben?

Wenn man den jetzigen Kader mit dem der vergangenen Saison vergleicht, besteht, vor allem was die Leistungsdichte betrifft, ein himmelweiter Unterschied. Das ist die Gelegenheit für den Stand-by-Oldie, endgültig die Führung zu übernehmen. Überwältigt von der Wucht der Emotionen liefert der 1,5 Millionen Euro teure Perspektivprofi mit seiner positiven Ausstrahlung authentische Arbeit ab. Der preußische Brasilianer, dem noch Schwächen in der Rückwärtsbewegung nachgesagt werden, gilt als Wechsel auf die Zukunft. Allerdings kann sich niemand im aktuellen Luxuskader seiner Sache sicher sein.

Es sei fatal, nur ein paar Prozent nachzulassen, mahnt der Exnationalspieler, „die neue Saison wird kein Selbstläufer“. Denn anders als vor zwei Jahren schwappte eine Welle der Sympathie über den sympathischen Zweiten, dessen Kreuzbandriss mehr schmerzt als alle Abgänge: „Da macht es Sinn, zweispurig zu fahren.“

Dass der Neuzugang, der als leidenschaftlicher Kämpfer mit Dampfmacher-Qualitäten einen dicken Bonus bei den Verantwortlichen hat, das Zeug zum Klassespieler hat, muss der 30-jährige Familienvater nicht mehr beweisen. Der Straßenfußballer mit dem linken Zauberfuß, der im Kindesalter den feinfühligen Umgang mit der Kugel barfuß lernte, bevorzugt den finalen Pass.

Für die anerkannten Topkräfte gibt es keine Ausreden mehr. Im Jahr des Generationswechsels auf hohem Niveau verpflichtete man die Liftboys der Liga, drei der größten Hoffnungsträger, die sich als Serientäter in Sachen Meisterschaft einen Namen machten. Im Gegenzug stießen zwei Hochkaräter mit internationaler Erfahrung zu dieser mit Spielertypen gespickten Mannschaft. Den sensiblen Shooting-Star hat der akribische Coach zu einer absoluten Führungsfigur erklärt. Der stille Kapitän gilt als einer der Hauptkandidaten, in absehbarer Zeit das entstandende Vakuum an Führungspersönlichkeiten zu füllen. Der einstige Fanliebling hofft, dass das Gleichgewicht erhalten bleibt zwischen der spielerischen, in der Rückwärtsbewegung aber unbekümmerten Leichtigkeit seiner Rastellis und der unabdingbaren Kärrnerarbeit seiner Malocher. „Insgesamt denke ich“, fügt sein Konkurrent bei der Besetzung der Mittelfeldzentrale hinzu, „dass wir uns in der Spieleröffnung leichter tun werden.“

Die Trainer fordern Fußball mit Leichtigkeit, Fußball mit Frische, Fußball als Spaß. Die offensive Flügelzange muss die Kunst beherrschen, die Stars und Nationalspieler richtig zu verschieben. Deshalb wurde der Trainer bei seiner ersten Ansprache der Saison an die Spieler konkret. Er erinnerte jeden Einzelnen an seine Pflichten, daran, das Maximum aus den Körpern herauszuholen. Das gilt auch und besonders für ihn, der in dem brisanten Stimmungsgemisch aus Vorfreude und Verlangen bei Misstönen schnell wieder ins Zentrum der Kritik rücken kann. Unter punktgenauer Beobachtung steht der Trainer im Umfeld dennoch. „Da besteht sogar die Gefahr, dass wir heiß laufen“, meint das 23-jährige Urgestein.

Klar ist, diese Spielzeit wird kein Selbstläufer. Wenn Stargehabe das Kollektivdenken der Profis ablöst, wenn Sättigung Einzug in die Spielerköpfe hält, dann werden etwaige Erbhöfe, wie sie die Altmeister lange Zeit innegehabt haben mögen, komplett abgeschafft. Nun kann Auge Drucke machen.

Alles in allem ist erneut mit einer prickelnden Saison zu rechnen. Also: Lustspiel oder Tragödie? Die neue Arena jedenfalls löst emotional bei allen Beteiligten ein Fußballfieber aus.

MONTAGE: D. ZUR NEDDEN