Virtuelle Millionen

Die Klubs waren dem Trugschluss erlegen, dem Fußball stünden unbegrenzt TV-Gelder zur Verfügung

von MARKUS VÖLKER

Erste Symptome zeigten sich in der letzten Saison in den Ligen Italiens und Spaniens: Spielergehälter schraubten sich in stratosphärische Höhen, die Schulden der Vereine bisweilen auch. Vor einem Jahr noch herrschte bei Europas Topklubs ein merkantiler Eifer, der das Treiben an der Warenterminbörse in den Schatten stellte. Das ging freilich nur gut, solange Geld in Strömen floss, vor allem vom Fernsehen.

Als es bei den Medienunternehmen den Bach runterging, in Deutschland der Kirch-Konzern Insolvenz anmelden musste, war auch der fröhliche neue Fußballmarkt am Ende. Er hatte zwar keine Illussionen verkauft wie so manches Unternehmen. Aber die Klubs, das legte die Krise schnell offen, hatten unsauber gewirtschaftet. Sie waren dem Trugschluss erlegen, dem Fußball stünden unbegrenzte Mittel zur Verfügung. Die Vorfreude auf Fernsehmillionen machte die Klubbosse unvorsichtig. Sie verbuchten Einnahmen, die erst 2006 fließen sollten. Virtuelles Geld. Die Spieler indes wollen bare Münze, Monat für Monat.

„Wir haben uns immer geweigert, bei diesem Wahnsinn mitzumachen“, sagt Dieter Hoeneß. Vor fünf Monaten hat sich der Manager von Hertha BSC mit der Vereinsführung über Maßnahmen beraten, die der Finanzkrise nach der Kirch-Insolvenz entgegenwirken können. Die Runde hatte schnell ein Paket geschnürt. „Wir wollten uns bei Neuverpflichtungen zurückhalten“, stand danach fest. „Einfluss kann man auch bei Verträgen nehmen, dass etwa jemand aus der Jugend den Vorzug erhält oder ein ablösefreier Spieler.“ Zudem sollten Geschäftsfelder wie Vermarktung, Sponsoring und Kartenverkauf „intensiver beackert werden“.

Hertha BSC hat sich an diese Vorgaben gehalten. Der Brasilianer Luizão kam ablösefrei. Die von den Berlinern gezahlten Ablösesummen liegen weit unter denen der Konkurrenz aus München und Leverkusen. Einig war man sich auch darüber, dass Spielerprämien und laufende Verträge nicht angetastet werden. Das sieht man in der Bundesliga teilweise anders. Der VfB Stuttgart streicht sämtliche Siegprämien. Energie Cottbus, Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund beschlossen Kürzungen.

Ihn, so sagt Dieter Hoeneß, habe die Kirch-Pleite nicht unvorbereitet getroffen. „Schon vor einem Jahr habe ich davor gewarnt, dass die Schraube so nicht weitergedreht werden kann, mit der Kirch-Insolvenz war es dann so weit.“ Wer seriös gearbeitet und sich nicht wie ein Spekulant mit Aussicht auf schnellen Gewinn aufgeführt habe, bleibe ohnedies verschont. „Das heißt: Wenn die Serie A und die spanische Liga eine schwere Grippe haben, leiden wir hier nur an einem Schnupfen.“ Dafür spricht, dass die Einnahmen durch TV-Gelder zwar erstmals in der Bundesligageschichte zurückgegangen, die Ausgaben für Neuverpflichtungen aber erneut gestiegen sind. Auch der Verkauf von Dauerkarten erreicht Rekordniveau. „In zwei Jahren“, prognostiziert Hoeneß, „wird es schon wieder besser aussehen.“ Dann wird wohl auch die Schwarzgeld-Affäre vergessen sein, in der die Staatsanwaltschaft derzeit bei Bayer Leverkusen ermittelt.

Hoeneß’ Bruder Uli, Manager bei Bayern München, erklärte unlängst in einem Zeitungsinterview, er halte die Lage für nicht so dramatisch: „Wenn ich höre, was in Italien oder Spanien, teilweise auch in England los ist, dann ist die wirtschaftliche Situation der deutschen Vereine einfach grandios.“ Bayern-Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge sieht längst wieder „rosige“ Zeiten anbrechen und empfiehlt ein Ende des Gejammers. Unternehmen wie etwa Manchester United stellen, als hätte es nie eine Krise gegeben, fette Schecks aus. Für den Verteidiger Rio Ferdinand ließ ManU 47 Millionen Euro springen. Die Konjunkturflaute liegt noch nicht mal hinter den Klubs, da werden schon wieder Luftschlösser entworfen.

Die „Premium-Marken“ ManU und Bayern sind freilich am wenigsten betroffen von den Verwerfungen im TV-Geschäft. Mit den Millionen aus der Champions League auf dem Konto haben die Bayern leicht reden vom bevorstehenden Aufschwung. Andere, wie etwa Energie Cottbus, sind da abhängiger vom TV-Geld. „Große Sparmöglichkeiten hat man sowieso nicht“, meint Klaus Stabach, Manager in Cottbus. „Wir waren vorher schon an der Grenze.“ Energie bekommt 2,5 Millionen Euro weniger Fernsehgeld als zuvor, ein harter Einschnitt für den Abstiegskandidaten. Die Nichtabstiegsprämie aus der letzten Saison mussten sie stunden, gespart wird, wo es eben geht, nur an die Spielergehälter kommt Stabach nicht heran. „Die sind ja selbst bei uns relativ hoch gegangen.“

Insgesamt nimmt die Deutsche Fußball-Liga (DFL) 270 Millionen Euro weniger ein als ursprünglich mit Kirch vereinbart. In dieser Saison gehen die Einnahmen um 20 Prozent zurück, in der kommenden sogar um 35 Prozent. Für den Fernsehkonsumenten hat sich indes wenig geändert. Der Bezahlsender Premiere zeigt alle Live-Spiele, Sat.1 sendet „ran“ von 18 bis 20 Uhr. Nach dem gestrigen Live-Spiel darf Sat.1 noch einmal ein Match in der Rückrunde direkt übertragen. ARD und ZDF besitzen die Zweitverwertungsrechte. Und: KirchMedia hat eine einseitige Option für weitere zwei Jahre.