berliner szenen Zurück in Berlin

Neuköllns Matrix

Es ist merkwürdig, jemanden wiederzutreffen, der länger nicht in Berlin war. H. war mit seiner Frau drei Jahre lang für eine große Firma auf Montage in Venezuela. Eine Vertragsverlängerung schlug er aus, weil er merkte, dass ihn Deutschland auch dort nicht ganz losgelassen hat.

Nun ist er mit seinen 37 Jahren nach Berlin zurückgekehrt und hat gerade eine Wohnung in der Hobrechtstraße in Neukölln bezogen. Hierher zog man in den späten Achtzigern, weil es aussichtslos war, in den damaligen Hip-Bezirken 36, 61 oder 30 eine Wohnung zu bekommen. Auf einem Geburtstag bei einem Freund in Lichterfelde erzählt H., dass er auch U. schon wieder getroffen habe, die noch immer mit ihrer vierjährigen Tochter in der Friedelstraße wohne. Außerdem sei man in der Hobrechtstraße doch ziemlich nahe an Kreuzberg dran. Auf die Erwiderung, dass man genau das schon in den Achtzigern gesagt habe und trotzdem lieber in Schöneberg oder gleich in Kreuzberg wohnte als ausgerechnet in der Hobrechtstraße, sagt H.: „Mag sein. Aber ich habe mir auch in Prenzlauer Berg Wohnungen angeschaut, zum Beispiel in der Schliemannstraße. Doch dieser ganze neue Spießerschick ist überhaupt nicht meins. Ich könnte hier gar nicht wohnen, die Leute in Kreuzberg und Neukölln sind mir viel sympathischer“. – „Und wie ist es mit Friedrichshain?“ – „Nee, das geht überhaupt nicht, da bin ich ja vorbelastet: Ich habe Anfang der Neunziger in einem besetzten Haus in der Scharnweberstraße gewohnt.“

Als es später um neue Filme und Bücher geht, fragt H., ob die Kaurismäki-Brüder noch immer so verehrt würden in Berlin. Und ob es schon wieder einen neuen Roman von Milan Kundera gebe.

GERRIT BARTELS