: Tod durch Schickimickisierung
Viele halbvermögende Arschloch-Cleverles und nur noch wenige bärtige Aufrechte aus der guten alten Zeit: ein Nachruf auf den Prenzlauer Berg unter besonderer Berücksichtigung von Lothar Feix’ essenziellen Texten namens „Kneipen & so’n Zeugs“
von HELMUT HÖGE
Wo das Kapital hinlangt, entstehen soziale Wüsten – aber drumherum wird alles schön bunt und wahnsinnig juvenil. Das beste Beispiel dafür ist in Berlin der ehemalige DDR-Boheme-Bezirk Prenzlauer Berg, der jetzt Prenzl-Hill heißt. Und das Kapital, das sind hier all die halbvermögenden Arschloch-Cleverles (Bobos) aus Bremen, Flensburg und Tübingen, die mittels Aufschwung-Ost-Abschreibungen eine „marode Immobilie“ nach der anderen „günstig“ erwarben.
Außen ließen sie sie schrill und fett anstreichen, mit Plastikstuck und neuen Balkongittern verzieren, und innen kamen Zentralheizung sowie Gasdurchlauferhitzer rein. Auf die Fußböden klatschten sie Saunaprofilbretter und an die Wände Raufaser. Zum Schluss wurde noch der Hinterhof gartenähnlich gestaltet und die Wege zu den Mülltonen mit mehrfarbigen Natursteinen in Mustern gepflastert. Nun kostet hier eine 4-Zimmer-Wohnung Minimum 1.000 Euro kalt. Und da der Prenzlhill bei allen Trendscouts als berühmt-berüchtigter Alternativkiez galt, werden die Wohnungen nun oft von Studenten als „WG“ angemietet – wenn nicht gar als „Loft“.
Früher wurde vor allem Kreuzberg von diesen laut Bild „langhaarigen Typen“ heimgesucht, die massenhaft aus der Provinz anrückten, um in der Frontstadt Westberlin auf den Putz zu hauen. Damals kamen jedoch vorwiegend Abiturienten, die im Malen eine 1 und im Rechnen eine 5 hatten, nach Kreuzberg, weswegen man von einem „Künstlerbezirk“ sprach.
Heute ist es genau umgekehrt: Es ziehen vor allem wichtigtuerische Wichser in den nun hauptstädtischen Prenzlhill, die tagsüber Business oder Law studieren und nachts das Clubbing kultivieren, wobei sie vor allem auf „coole DJs“ abfahren. In keinem Bezirk ist das verhunzte Plattdeutsch so aufdringlich wie im Prenzlhill. Im Shoppingcenter Schönhauser Allee Arkaden hört man Sätze wie diese: „Mein Girl ist prägnant!“ oder „Lass uns mal in Ruhe darüber talken!“ Dem Handywahn können sich hier selbst allein erziehende Sozialhilfeempfänger nicht entziehen. Billigpensionen heißen im Prenzlhill „4 You(th)“ und lauwarmer Muckefuck „Coffee“ oder „Cup o’ Chino“. Eine intersexuelle Verabredung ist ein „Crossover-Date“. Dieser endet in der Regel mit der Vorführung von „private tattoos“ auf einem bunten Ikeabett im Schein handgedrehter Geruchskerzen.
Es gibt seit der Erfindung der Angst vor „Dehydration“ einen untrüglichen Indikator für die völlige Verhunzung und Verluderung eines Wohnbezirks: Das ist der Anteil von knackigen jungen Menschen, die mit Wasserflaschen in der Hand oder in ihrem „City-Bag“ herumlaufen! Kein Bezirk hat sich so rasch und so radikal seiner vormaligen proletarischen Bewohner entledigt oder sie als Penner auf Parkbänke abgedrängt. Jetzt werden im Prenzlauer Berg täglich 40.000 von diesen Plastikflaschen mit lauwarmer Pisse geleert, dazu kommen nächtens noch etwa 18.000 Caipirinha-„Mixdrinks“, die in 128 californiafarbenen „In-Kneipen“ verkonsumiert werden, wo man sich jedoch gerne „Out-Door“ vergnügt (Quelle: Noelle-Neumann).
Weil dieser Prenzlhill-Fun nachts als sinnloser Krach bis in die obersten Etagen der totrenovierten Mietshäuser schwappt, gibt es dort seit zehn Jahren kein anderes öffentliches „Thema“ mehr als den ruhestörenden Lärm nach 22 Uhr. Unterhalb dessen ringt jedoch noch immer ein letztes Fähnlein Aufrechter aus der „guten alten Zeit“ um stille Aufmerksamkeit. Sie sind alle bärtig und heißen Rüddenklau, Kempe oder Feix. Letzterer ist jedoch gerade gestorben – an der Scheiß-Schickimickisierung seines Bezirks. Seine Restfreunde, die den aus der DDR-„Umweltbibliothek“ hervorgegangenen telegraph herausgeben, haben nun einen Teil seines Nachlasses veröffentlicht: „Kneipen & so’n Zeugs“. Feix schreibt über die „lokale Entwicklung des Kneipenwesens“, die man „nur noch im Rausch ertragen kann“. Dabei schlägt er den Bogen von den ersten illegalen Etablissements in besetzten Häusern und leer stehenden Gemüseläden seit 1988 bis zur „Yuppisierung“, die einen „fiesen Vertreibungsprozess potenziell widerspenstiger Menschen aus dem gedemütigten Bezirk“ zur Folge hat.
Die „Sehnsucht nach Aufruhr“ erschöpft sich inzwischen darin, „einen Sprudel zu bestellen“ – so der letzte Satz von Feix, mit dem er seine Erfahrungen vor und hinter den Theken des Kiryl und des Torpedokäfers abschließt. Gleichzeitig veröffentlichte die telegraph-Redaktion in ihrer neuen Ausgabe (Nr. 106) auch noch einen „Redebeitrag“ von Feix – aus dem Kippjahr 1991.
Bert Papenfuß leitet diesen Text ein und kommt zu dem Schluss: „Feixi war eine Berliner Flanze; seinen ganzen Frühling hat er im Prenzlauer Berg rumgeknospelt, seinen kurzen Sommer der Militanz hat er verplempert, den langen Herbst der DDR durchgehalten im Dschumm, und als es dann eisig wurde, war das Jahr auch schon rum.“ Mit anderen Worten: Nur karrieristische Scheißkerle werden in diesem Gentrifikationssystem noch glücklich und froh – wie ein Mops im Paletot!
Lothar Feix: „Kneipen & so’n Zeugs“, erschienen in der „telegraph“-Reihe „surrogate“ als Nr. 1
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