Wahlkampfersatz auf chinesisch

KP-Sommerklausur: Gerüchte um den Verbleib von Jiang Zemin an der Parteispitze sollen Diskussion um designierten Nachfolger Hu Jintao beleben

PEKING taz ■ Es gibt durchaus noch Chinesen, die sich für Politik und Partei interessieren. „Ich würde gern wissen, was auf der Konferenz in Beidaihe diskutiert wird“, fragt ein Surfer im Chatroom der Volkszeitung. Prompt erhält er eine Antwort, die sich wie die Replik von Partei- und Staatschef Jiang Zemin lesen soll: „Ich will zurücktreten, aber sie lassen mich nicht.“ So fragen und mutmaßen derzeit viele Chinesen über das seit Wochen laufende informelle Treffen der Parteispitze im Badeort Beidaihe und den erwarteten Führungswechsel im Herbst.

Sicher ist gar nichts. Fest steht noch nicht einmal der genaue Termin des 16. Parteitags, der im Herbst Chinas neuen ersten Mann wählen soll. Doch eigentlich scheint alles klar: Jiang wird als Parteichef abtreten, dafür aber den Vorsitz der Militärkommission behalten, also oberster Armeeführer bleiben. Zu seinem Nachfolger wird der Parteitag den bislang im Volk eher unbekannten Vizepräsidenten Hu Jintao küren. Bereits jetzt kämpfen in Beidaihe die Jiang- und Hu-Fraktionen um die restlichen Ämter. Echte Differenzen über den marktwirtschaftlichen Reformkurs gibt es nicht.

Nun aber möchten einige, die sich in der Ämterschlacht benachteiligt fühlen, Sand ins Getriebe der Parteispitze streuen. Es kursieren deshalb – ob in den freieren Hongkonger Medien oder in Chinas Internet – viele Gerüchte, gespickt mit anonymen Zitaten angeblich ranghoher Kommunisten, die Jiangs Verbleib im Amt vorhersagen. Das ist der Wahlkampfersatz, den China sich gönnt. Denn die Öffentlichkeit giert nach jedem Hinweis, der einen Streit zwischen Jiang und Hu erkennen lässt und das erwartete Parteitagsszenario in Frage stellt.

Zwar ist die Heimlichtuerei der Partei vor dem Führungswechsel für China nicht neu, aber zumindest dieses voyeuristische Interesse an Politik. „Wir haben Mao Tse-tung verehrt und manchmal auch Deng Xiaoping“, sagt der Pekinger Schriftsteller Mo Yan („Das rote Kornfeld“). „Doch im Gegensatz zu seinen zwei berühmten Vorgängern wird Jiang von der normalen Bevölkerung offen kritisiert, man bemerkt Schnitzer in seinem Auftreten und macht Witze über ihn.“ Mo sieht darin einen Fortschritt, weil hier „individuelle Meinungen im Volk gegenüber dem Führer deutlich werden“, die unter Mao und Deng nicht erkennbar gewesen seien.

Lästern die Chinesen bald auch über Hu? Jedenfalls vermeidet die Partei jetzt alles, was dessen Image Kanten gibt, an denen sich das Volk reiben könnte. So wurde eine Passage aus seinem offiziellen Lebenslauf getilgt, die ihn als guten Tänzer beschrieb und mit dem Satz zitierte: „Ein guter Führer sollte die Demokratie befürworten, in der Lage sein, in schwierigen Situationen entschlossen zu handeln, und das Leben lieben.“ Ein Tänzer, der Demokratie befürwortet und das Leben liebt, wäre im Einparteienstaat eine Witzfigur. Stattdessen soll das Volk mit jemand vorlieb nehmen, der „in langen Jahren harter Arbeit in entlegenen Gebieten zum festen Befürworter der Reform- und Öffnungspolitik wurde“ – ein Hinweis auf Hus Zeit als Parteichef in Tibet.

Das Herumdoktern am Lebenslauf ist ein Indiz dafür, dass sich die Partei längst auf Hu eingestellt hat. Darauf deuten auch seine sorgfältig inszenierten Provinz- und Auslandsreisen. Die Frage englischsprachiger Medien: „Who's Hu?“, wird bald ganz China beschäftigen.

GEORG BLUME, KRISTIN KUPFER