Uribe nutzt Vertrauensvorschuss

Kolumbiens neuer rechtspopulistischer Präsident hat einen fulminanten Start. Die meisten KolumbianerInnen hoffen auf Erfolge gegen die Guerilla und korrupte Politiker. Die Opposition befürchtet eine Ausweitung des „schmutzigen Krieges“

aus Bogotá GERHARD DILGER

Die Normalität ist zurückgekehrt in Bogotás historisches Candelaria-Viertel. Kleinbusse und Taxis drängen sich durch die engen Gassen. Im neobarocken Teatro de Colón spielen die Symphoniker Schubert und Tschaikowsky. Der Umsatz der Straßenverkäufer steigt wieder. Von weitem ist die Blasmusik der Präsidentengarde zu hören. Nach den Musikanten ziehen dutzende ihrer Kollegen an der neuen Residenz Álvaro Uribes vorbei – mit Pickelhaube und Maschinengewehr.

Eine Woche nach Amtsantritt könnte sich der Präsident über seine Popularität in Rekordhöhe freuen – nach Umfragen unterstützen ihn 77 Prozent. Die Zustimmung zum gerade erklärten Ausnahmezustand dürfte zumindest in den Städten kaum geringer sein. Doch für Gefühle scheint der schmächtige 50-Jährige, der mit seiner Nickelbrille eher wie ein Bibliothekar wirkt als wie der neue starke Mann Lateinamerikas, keine Zeit haben. Er erweckt erfolgreich den Eindruck, als regiere er rund um die Uhr. Nach seinem Wahlsieg bereiste er zahlreiche Hauptstädte Amerikas und Europas, um für seine Kriegspläne zu werben.

Dazwischen stellte er seine Regierung zusammen – eine Mischung aus alten Kumpanen aus seiner Zeit als Politiker in Antioquia und neoliberalen TechnokratInnen. Wirtschaftsminister Roberto Junguito wurde direkt vom IWF abgeworben. Fünf Frauen sind im Kabinett. Nun teilt sich Uribe seine Zeit zwischen Bogotá und der kriegsgeschüttelten Provinz auf.

Am Morgen nach seinem dramatischen Amtsantritt flog er in die Karibikprovinz Cesar, um sein Spitzelprogramm „Eine Million Freunde“ zu lancieren. Am Nachmittag stellte er in Caquetá, Hochburg der Farc-Guerilla, seinen Bildungsplan vor. Während eines Treffens mit den dortigen Bürgermeistern erreichte ihn ein Anruf von UN-Generalsekretär Kofi Annan, der ihm für etwaige Friedensgepräche seine Unterstützung versicherte. Den Applaus der Kommunalpolitiker wehrte Uribe ab: „Wartet, bis wir zum Ende der Amtsperiode den Frieden erreicht haben.“

Am Samstag hielt er in der südlichen Andenprovinz Nariño seinen ersten „Kommunalrat“ ab. Fünf Stunden lang konferierte das fast komplett angereiste Kabinett mit Lokalpolitikern und Sprechern sozialer Bewegungen. Die Besucher aus Bogotá hörten zu und versprachen rasche Abhilfe bei den Problemen.

Mit dieser Art seriöser Volksnähe kann Uribe umso mehr punkten, als sich die KolumbianerInnen auf dem Land von seinen Vorgängern im Stich gelassen fühlten. „So etwas kommt an“, sagt eine oppositionelle Bogotanerin, die den Auftritt im Fernsehen verfolgt hat und vor allem auf Erfolge des Präsidenten beim Vorgehen gegen die Vetternwirtschaft hofft.

Und nun der Ausnahmezustand. Überrascht ist niemand, dass die Regierung neue Wege im Krieg gehen will, der – so die allgemeine Auffassung – von den Farc gewollt ist. Dass Uribe als Erstes eine Sondersteuer für Reiche dekretiert hat, erweist sich als geschickter Schachzug. Nun plant er die Überwachung von Handytelefonaten.

Sobald jedoch Uribes Rückhalt bei der Bevölkerung schwinde, wachse die Gefahr „autoritären Missbrauchs,“ befürchtet Antonio Navarro Wolff. „Regierung und Farc setzen auf eine große Schlacht, um das Ende der Sackgasse zu erzwingen“, meint der Exguerillero und Senator.

Dabei sei eine Verschiebung des militärischen Gleichgewichts unwahrscheinlich. Mit der einen Million Informanten weite sich der „schmutzige Krieg“ aus. „Diese Leute bewaffnen sich, und kein General wird sie kontrollieren können. Die Guerilla wird alle hinrichten, die sie identifizieren kann.“