Kein Bonus für die Roma


„Jetzt hat so ein abgelegenes Dorf gewonnen, wo nur Zigeuner leben“

aus Budapest KENO VERSECK

Das mittelungarische Dorf Ozora ist zwar kaum einem Ungar ein Begriff, dafür aber in manchen Brüsseler EU-Abteilungen um so besser bekannt. Dort wissen sie, dass die Bürgermeisterin von Ozora, Györgyi Schranz, peinlichst auf Sauberkeit in ihrem 2.000-Seelen-Ort bedacht ist und eine Vorliebe für öffentliche Blumenrabatten hegt.

Dass die Bürgermeisterin eine politische Freundin von Exjustizministerin Ibolya Dávid ist. Dass diese wiederum hier in der Gegend ihren Wahlkreis hat. Und dass im Dorf fast ein großes Blumengewächshaus gebaut worden wäre, unter dem Namen: „Zusammen für einander – Wohlfahrts- und Innovationsprogramm für Roma“, finanziert zum größten Teil aus EU-Geldern. Denn, und auch deshalb ist den EU-Beamten Ozora ein Begriff, ein Drittel der 2.000 Einwohner sind Roma.

Ende letzten Jahres erhielt die Bürgermeisterin von Ozora die schriftliche Zusage vom ungarischen „Amt für nationale und ethnische Minderheiten“ (NEKH) über 720.000 Euro aus dem Brüsseler Phare-Roma-Fonds für die Dörfer Ozora, Fürged und Magyarkeszi. Kurze Zeit später war der Traum vom Zusammen-füreinander-Blumengewächshaus, das die Dorf-Roma bauen und unterhalten sollten, für Györgyi Schranz wieder ausgeträumt: Brüssel hatte, was beim Phare-Programm selten geschieht, das Projekt abgelehnt.

Eine offizielle Begründung gab es nicht. Inoffiziell wissen die EU-Beamten: Eine Gutachter-Jury hatte dem Projekt in Ozora im Rahmen der Ausschreibung einen Reserveplatz zugewiesen, für den Fall, dass einer der drei Gewinner abspringt. Das ungarische Minderheiten-Amt jedoch setzte Ozora auf die Liste der Gewinner – schließlich unterstand es der damaligen Justizministerin Ibolya Dávid, die sich politischen Freunden in ihrem Wahlkreis wohl gern erkenntlich zeigen wollte. Ozora, so sagen Mitarbeiter des Phare-Programms, war ein herausragender Fall politischen Klientelismus. Er zeige, dass es in Ungarn auf Regierungsebene am Willen fehle, die Lage der Roma zu verbessern.

In allgemeiner Form hat die EU diese Kritik in den vergangenen Jahren auch öffentlich geäußert; in Ungarn, in vielem anerkanntes Musterland unter den EU-Kandidaten, sei die Diskriminierung der rund 600.000 Roma überall im Alltag spürbar: im Schulwesen, am Arbeitsplatz, auf der Polizei und vor Gericht. Die gesundheitliche Lage und die Bildungschancen der Roma seien deutlich schlechter als die des ungarischen Bevölkerungsdurchschnitts.

Unter der Ende April abgewählten national-konservativen Regierung gab es schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. Vor zwei Jahren erhielten Roma aus dem ostungarischen Ort Zámoly erstmals im postkommunistischen Ungarn vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg das Recht auf politisches Asyl in Westeuropa zugesprochen. Der Grund: Sie waren vom Bürgermeister aus ihrem Wohnort vertrieben worden.

Die ungarische Regierung hatte sich in den Fall nicht eingemischt. Zudem kamen in den letzten Jahren zahlreiche Skandale im Bildungswesen ans Licht: Überdurchschnittlich viele Roma-Kinder werden auf Sonderschulen geschickt oder an Grundschulen in „Zigeunerklassen“ ausgesondert. Staatliche Fördergelder für Roma-Kinder werden oft zweckentfremdet.

Um die Lage der Roma zu verbessern, stellte die EU allein seit 1999 aus ihrem Phare-Fonds, der die institutionelle und gesellschaftliche Demokratisierung in osteuropäischen Ländern finanziell fördert, 18 Millionen Euro für Roma-Projekte in Ungarn zur Verfügung. Wie üblich in den meisten staatlichen Phare-Projekten, beteiligte sich Ungarn mit einem Drittel bis zur Hälfte der Gesamtsumme. Insgesamt standen so 33 Millionen Euro für Roma in Ungarn bereit.

In kleinerem Maßstab vergibt die EU Gelder direkt an Bewerber. Für den weitaus größten Teil jedoch bewerben sich Ministerien auf Rahmensummen und veranstalten dann ihrerseits Ausschreibungen für Interessenten: Gemeinden, Minderheitenverbände oder Nichtregierungsorganisationen. Für ein genehmigtes Projekt müssen die Bewerber zehn Prozent der Gesamtkosten selbst aufbringen. Das „EU-Ja“ zu Projektgewinnern ist erforderlich, meistens aber Formsache.

„Die Mehrheit der Roma hat von dem Phare-Geld nichts gesehen“, ist die Meinung von Aladár Horváth, einem der bekanntesten ungarischen Roma-Politiker, derzeit Berater des Regierungschefs Péter Medgyessy in Roma-Fragen. Er kritisiert die Vergabe von Phare-Geldern in Ungarn als undurchsichtig, langsam und bürokratisch. „Der größte Teil der Roma-Gesellschaft kennt die Spielregeln nicht und verfügt weder über Beziehungen noch Kenntnisse, um einen Projektantrag zu stellen. Außerdem wurden die Gelder in den letzten Jahren oft nach politischen Kriterien vergeben: an diejenigen, die der Regierung nahe standen.“

Ähnlich sieht es auch Ágnes Darocszi, die langjährige Chefredakteurin der Roma-Sendung im Staatsfernsehen, die wegen ihrer liberalen Orientierung unter der letzten Regierung abgesetzt wurde. Heute ist Ágnes Darocszi Leiterin der Romaversitas-Stiftung, die Bildungsprojekte für Roma-Studenten finanziert. Sie hat sich eine Statistik des Jugendministeriums über 55 Projekte angeschaut, die seit 1999 Phare-Gelder erhielten. „Die fünf Organisationen, die das meiste Geld erhielten, sind alles Nicht-Roma-Organisationen, die fünf mit den geringsten Summen alles Roma-Organisationen“, moniert sie.

Laut Statistik hat zum Beispiel das Minderheiten-Forschungsinstitut 900.000 Forint (4.000 Euro) zur Erforschung drogenabhängiger Roma erhalten, die Roma-Selbstverwaltung Nagykanizsa für ein Anti-Drogen-Projekt 50.000 Forint (220 Euro). „Das kann kein Zufall sein“, glaubt sie. „Da müsste mal die Vergabepraxis im Ministerium untersucht werden. Was haben drogenabhängige Roma davon, wenn sie erforscht werden?“

Die Diskriminierung der rund 600.000 Roma in Ungarn ist im Alltag überall spürbar

Ihre Stiftung hat beim Bildungsministerium selbst Phare-Projektgeld beantragt – und eine Ablehnung erhalten. „Unsere Bewerbung war einfach nicht gut genug“, gibt sie zu. „Es wäre hilfreich, wenn die EU oder die ungarische Regierung ein Büro hätte, in dem man lernen kann, Bewerbungen zu schreiben.“

An der Leiterin des „Phare-Roma-Büros“ beim „Amt für nationale und ethnische Minderheiten“, Erika Lencsés, perlen Frustration und Kritik von ungarischen Roma-Politikern ab. Sie hat unter anderem den Fall Ozora mitbearbeitet und hält nichts davon, dass bei Roma-Projekten nur Roma profitieren. „Wenn nur Roma Geld bekommen, dann werden sie noch mehr diskriminiert. Die Philosophie unserer Projekte ist zum Beispiel, benachteiligte Kleinregionen zu entwickeln. Da sind dann auch die Roma mit angesprochen.“

Trägt ihr Büro dann nicht den falschen Namen? Erika Lencsés lächelt: „Der Schwerpunkt bei den Projekten liegt auf den Roma.“ Wo genau die Phare-Gelder für Roma hinfließen würden und was mit ihnen geschehe, darum kümmerten sich ungarische Regierungsbeamte wenig, kritisieren Phare-Mitarbeiter. Wichtig sei eine große Summe auf dem Papier. Erfolgreiche Projekte seien ohnehin meistens diejenigen, in denen es keine Beteiligung der ungarischen Regierung gebe.

Ein EU-Beamter, der ungenannt bleiben will, sagt, ungarische Ministerien sollten sich mehr um den Langzeiterfolg und die Nachhaltigkeit von Roma-Projekten kümmern und die entsprechenden Erfahrungen in einer langfristigen nationalen Strategie zur Roma-Politik berücksichtigen. Anderseits sei es oft schwer, unter Roma-Politikern Ansprechpartner zu finden, weil es so viele Eifersüchteleien gäbe. Im Übrigen sei es nicht Aufgabe der Europäischen Union, den Ungarn beizubringen, wie man erfolgreiche Bewerbungen schreibe, da müsse zum Beispiel eine ungarische Regierungsbehörde helfen. Oder die Roma sich selbst. Immerhin dürften Bewerbungen in Ungarisch geschrieben werden, in Einzelfällen biete die EU auch Hilfe beim Formulieren von Projekten an.

Die Bürgermeisterin von Ozora, Györgyi Schranz, hofft unterdessen, dass die EU-Entscheidung gegen ihr Projekt doch noch geändert wird. „Seit sechs Monaten warte ich nun auf das Geld“, klagt sie und empört sich dann: „Zu der Sache mit der Justizministerin sage ich gar nichts mehr! Jetzt hat so ein abgelegenes, unbedeutendes Dorf gewonnen, wo nur Zigeuner leben! Unser Projekt ist zum Wohle unserer Roma. In dem Blumengewächshaus sollen sechs Roma-Frauen arbeiten. Nach zwei Jahren würde sich das von selbst tragen. In der Zigeunersiedlung wollen wir einen Bürgersteig bauen und Wasser und Gas legen lassen. In der Schule muss das Dach ausgebessert werden, und der Kindergarten soll ein Bad bekommen, da könnten dann die Zigeunerkinder ihre schmutzigen Kleider waschen und baden, wenn sie Läuse haben.“