herr tietz macht einen weiten einwurf
: Fritz Tietz über das Unwandelbare im Fußball

Stramm blickender Korpus

Als einer, der schon in den 60er-Jahren dem Fußballsport zugeführt wurde und seither das Geschehen in unseren Ligen verfolgt, bin ich immer wieder erstaunt, wie gründlich sich der Fußball in knapp vier Jahrzehnten verändert hat; leider jedoch nicht immer nur zu seiner Zier. Sicher musste einiges notwendigerweise reformiert werden. Man denke nur an die Fußballer-Frisuren in den 70er-Jahren. Von den obszön kurzen Hosen, die sie damals trugen, ganz zu schweigen. Vieles andere wurde aber bloß unnötigerweise verhunzt.

Ich habe es in den letzten 35 Jahren doch oft genug erlebt: Was eben noch als gutes Brauchtum und achtenswerte Fußballpraxis galt, hielt man schon Jahrzehnte später für dringend renovierungsbedürftig oder gar überflüssig. Das betraf die Spielkultur ebenso wie die Spielertypen, den Spielbetrieb geradeso wie das einstmals so gerühmte Spiel ohne den Ball: früher in aller Munde, will inzwischen niemand mehr etwas davon wissen.

Regelwerke wurden neu erfunden, Stadien umbenannt und ganze Spielsysteme gekippt. Galt beispielsweise noch in den 60er-Jahren die 4-2-4-Formation als der Fußballweisheit letzter Schluss, spielte man nur 30 Jahre später ausschließlich kontrollierte Offensive. Aus dem Stopper wurde der Libero, der Läufer sogar ganz abgeschafft. Schiedsrichter waren plötzlich keine schwarzen Säue mehr und Schlachtenbummler nannten sich mit einem Mal nur noch Fans. Ehemalige Kuchenblöcke mutierten unversehens zu VIP-Lounges, während aus der ARD-Sportschau zunächst der RTL-Anpfiff wurde und daraus dann der heutige Dünnpfiff auf Sat.1.

Selbst jenes eherne Fußballer-Gesetz, nach dem ein Rechtsaußen als Rückennummer zwingend die Sieben zu tragen hat, ein Linksaußen dagegen nichts als die Elf und die heilige Neun allein dem Mittelstürmer vorbehalten ist, wurde mittlerweile einem Goldenen Kalb namens individuelle Rückennummer geopfert. Kurzum: Abgesehen davon, daß weiterhin je elf Mann das Runde ins Eckige schießen müssen, hat sich kaum etwas als nicht änderbar im Fußball erwiesen.

Umso erfreulicher, wenn man dann doch noch ein Stück Fußballkultur entdeckt, das bisher ungebrochen allen zeitgeistigen Umwälzungen zu trotzen scheint. Ich spreche natürlich von den offiziellen Mannschaftsfotos. In der aktuellen Kicker-Sonderausgabe werden sie erneut querheft und in altgewohnter Manier präsentiert. Und wieder haben dazu beider Bundesligen Spielerkader samt deren vollständig angetretenen Trainer- und Betreuerstäben die klassische Aufstellung gewählt: nämlich die bewährte, auf Lücke ausgerichtete und nach hinten ansteigende Dreierreihung vor dem Hintergrund einer leeren Tribüne oder irgendeines dicht gewachsenen Grüns. Strikt eingehalten wird auch die seit Anbeginn der Mannschaftsfotografie vorgeschriebene Uniformität in Gesichtsausdruck und Körperhaltung. Strammen Blicks starrt einen da der einheitlich trikotierte Mannschaftskorpus an. Schultereng muss er in den beiden hinteren Reihen stehen, die Arme, wie vorgeschrieben, hinterrücks verschränkt. Die vordere Reihe aber muss sitzen, wobei hier die Spieler die Beine möglichst weit zu spreizen und die Hände auf den Knien abzustützen haben. Nur die Torwarte, die, so will es der Brauch, immer in der ersten Reihe sitzen, halten in ihren behandschuhten Händen je einen Ball. Alles wie schon vor 40 Jahren gehabt.

Und doch geben einige der aktuellen Mannschaftsfotos zu erkennen, dass die Vereine auch mit dieser schönen Tradition zu brechen beginnen. Eintracht Frankfurt etwa wählte dieses Mal als Fotohintergrund einen Flughafen, der 1. FC Union Berlin irgendein Schloss, der 1. FC Kaiserslautern nahm in einer Bretterbude Aufstellung und der FC. St Pauli ließ sich für ein Plakat in einem Gefängnis ablichten. Die Hamburger haben sogar – gegen Geld – einen Vereinsanhänger mit auf das Foto gelassen. Ein Sakrileg, das vom FSV Mainz allerdings noch getoppt wird: Auf dessen Teamfoto ist sogar die Busfahrerin (!) mit von der Partie.