pampuchs tagebuch: Alles in einem Topf
Vor kurzem besuchte ich meine Freunde A. und D., ein Computerpärchen, das in einer Münchner Institution jene Elektronik in Gang hält, die sich heute jeder bessere Think-Tank leistet. Angetrieben hatte mich das Leck in meinem eigenen kleinen Tank: der hier bereits beklagte Verlust von mehreren tausend E-Mails. Wegen meines Respekts vor dem geschrieben Wort habe ich nämlich immer noch das Bedürfnis, Post aufzuheben. Nur eben nicht mehr im Schuhkarton, sondern in dem bei AOL dafür vorgesehenen „Organizer“, der eingegangene wie verschickte Mails brav archiviert. Natürlich habe ich selten die Stärke gehabt, wirklich Unwichtiges zu löschen, und so schwoll mein Organizer an.
Wohlgefällig ließ ich ab und an meinen Blick darüber gleiten wie über einen gut gefüllten Ranzen. Mein Kistchen freilich ächzte, und an Ratschlägen Dritter, einmal radikal alles rauszuschmeißen, fehlte es nicht. Doch wer will sich schon einfach so von seiner Vergangenheit trennen? Und sollten wir es nicht zukünftigen Historikern überlassen, was für meine Biografie wichtig ist und was nicht? Als mein Laptop neulich zusammenbrach und meine Festplatte geputzt werden musste, ließ ich natürlich all diese Daten von meinem Händler sichern. Als ich sie wieder aufspielen wollte, begann das Unglück: Mehrere Anrufe bei der AOL-Hotline – Schande über sie! – stürzten mich in tiefe Verzweiflung. Zwei Fachkräfte sagten mir, mein Händler habe die Sache verbockt, weil er mein AOL nur gesichert habe, statt es ordnungsgemäß zu deinstallieren. Hot-Diagnose: „So funktioniert das nicht!“
Eine dritte Kraft sagte dann, es sei ganz einfach: Ich müsse aus dem gesicherten AOL-Ordner nur den Ordner namens „organize“ in den neu installierten AOL-Programmordner kopieren, dann kämen die alten und die inzwischen von mir gespeicherten neuen Mails einfach zusammen: „Wenn Sie was in einem Topf haben und dann was dazutun, verschwindet das alte ja auch nicht.“ Klang überzeugend, aber die alten Mails blieben verschwunden: Die Auslöschung meiner Geschichte, verursacht von unfähigen AOL-Programmierern, inkompetenten Laptophändlern und ignoranten AOL-Hotlinern, schien irreversibel. Doch A. und D. schenkten mir meine Vergangenheit wieder. Sie knobelten und wirbelten, sie verschoben und sicherten, sie benannten um und hoben Schreibschutze auf, es war eine Freude. Nach einer halben Stunde stand meine Liste wieder auf dem Schirm. Und nicht nur das: D. fand auch einen passablen Weg, meine alten Mails jederzeit einsehbar zu machen, ohne damit den aktuellen Organizer zu belasten. Man sollte ihn dafür sofort zum AOL-Seniorchef ernennen. Also, für alle AOL-Geschädigten zum Mitschreiben: Man lege sich im AOL-Ordner zu der aktuellen „organize“-Datei eine zweite Datei mit den alten (unter organize) gesicherten Mails an und nenne sie z. B. „organize_alt“. Will man ins „Archiv“, nennt man das aktuelle „organize“ in „organize_neu“ um und „organize_alt“ in „organize“, startet dann AOL (das nur „organize“ versteht), und schon kann man in seiner Geschichte kramen. (Bevor man online geht, stellt man besser wieder um.) Fazit: Auch AOL- Nutzer haben ein Recht auf Geschichte. Die AOL-Hotline aber sollte man in den dunkelsten Topf des Vergessens stecken. Und dann noch viel Hotline drübergießen. Vielleicht verschwindet sie ja wirklich. THOMAS PAMPUCH
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