der terror höret nimmer auf von WIGLAF DROSTE
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Wild greift das Rabattmarkenunwesen um sich. Es hat etwas Kleinliches, nachkriegszeitenhaft Hamsterndes, wenn Marken in Hefte geklebt werden. Da triumphiert der kleine Sparer, die geizige Ader schwillt ihm an. Aaah, herrlich, schießt es dem Rabattmarkenkleber durchs schrappige Kleingeldhirn, wieder etwas zusammengerakt und -gespart! In jeder Wohngemeinschaft gibt es einen, der die Lebensmittel- und Telefonrechnungen bis auf den letzten Pfennig ausrechnet. Während die anderen sich vergnügen, sitzt dieses Neutrum am Tisch und findet als Quittungsblockwart ganz zu sich selbst: Das ist sein Vergnügen, das einzige, zu dem es fähig ist.

Weise ältere Menschen wissen es: Wenn es Rabattmarken gibt, kommt auch bald wieder Krieg. Unbeirrt aber streicht die Schnäppchensorte Mensch durch die Straßen und spart sich ihre lippenleckende Befriedigung zusammen. In Weinläden werden Stempelhefte und in Flugzeugen Bonusmeilen gesammelt. Es geht dabei überhaupt nicht um Armut, sondern allein um das dringende Bedürfnis, einen guten Schnitt zu machen. Es sieht schäbig und stillos aus.

Ich saß im Flugzeug am Fenster. Eine Frau setzte sich auf den Gangplatz und legte Zeitschriften auf den freien Sitz zwischen uns. Ich kannte die Druckerzeugnisse nicht; eins hieß Shape, das andere Wellfit. Und für so was werden Bäume umgehackt, dachte ich, konnte aber meine Neugier dem gedruckten Wort auch diesem Schangel gegenüber nicht zügeln und spinkste hinüber. Die Frau war Mitte dreißig, nicht groß und nicht klein, nicht hübsch und nicht hässlich. Erstaunlich gebannt starrte sie in ihre Illustrierte und blätterte. So unauffällig wie möglich versuchte ich mitzulesen. Es gelang. „Nena: ‚Ich will einen straffen Po!‘ “. Der redaktionelle Kommentar dieses epochalen Satzes ging so: „Endlich ein Star, der ehrlich zu sich selbst ist.“

Die Frau blätterte und blätterte, und ich las, behände den Hals verdrehend, mit: „Mein Abnehm-Tagebuch.“ Textblöckchen in Illustrierten gibt es nur, weil der Terror von Grafik und Layout auf zumindest die Simulation von Inhalt noch nicht völlig verzichten kann. Wir bissen uns fest: „Wie Sie Ihren Typ finden und was Sie beim Emotionsmanagement noch dazulernen können.“ Die Frau verschlang das Zeug, sie verglich sich und ihr Leben mit dem, was sie in sich hineinlas und wegblätterte. Sie sah immer unglücklicher aus dabei, sie kam richtig unter Druck, man konnte es sehen und fast räumlich spüren.

„Emotionsmanagement“: Gegen das, was solche Blätter anrichten, war der bewaffnete Protestantismus der RAF ein laues Lüftchen. Nein, das ist wirklicher Terror. Seine Pamphletisten sitzen in Redaktionskartons und stellen ihn so fabrikmäßig her, wie sie selbst hergestellt werden.

Kurz vor der Landung waren die Hefte ausgelesen, die Frau füllte noch schnell das „miles and more“-Bonusmeilen-Formular aus. In ihrem Gesicht stand: für alle Fälle, zur Sicherheit, man kann ja nie wissen. Und da war auch Glück in ihrem Gesicht, das Glück eines kleinen Nagetiers.