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zwischen den rillenIndieaußenseiter: Ugly Casanova und Weird War

Wo die Toten sich‘s schön machen

Die US-Indieszene wird bevölkert von biederen Collegeabsolventen, coolen Großstadtjungs und eigenwilligen Aussteigern. Einer wie Isaac Brock hat in so einer Gesellschaft mit manchem Identitätsproblem zu kämpfen. Aufgewachsen in einem Trailerpark nicht weit von Seattle, schlug Brock sich als Anstreicher und Lagerarbeiter durch, bevor er begann, mit Musik seinen Unterhalt zu verdienen. Anstatt aber nun in einer New-Metal-Band die Kelle zu schwingen und seinem düsteren Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen, bastelte Brock ab Mitte der Neunziger an seiner eigenen Definition von Indierock. Diesen befreite er von seiner Selbstreferenzialität und verlieh ihm mit seiner Band Modest Mouse wieder Größe, Weite und emotionale Tiefe.

Mit Erfolg: Brock ist inzwischen ein veritabler Star und Modest Mouse haben einen Big Deal bei der Sony. Trotzdem fühlt Brock sich unwohl in seiner Haut, was er mit seinem Seitenprojekt Ugly Casanova beweist. Vielleicht um locker zu werden, vielleicht um sein schlechtes Gewissen den alten Kumpels gegenüber zu beruhigen, erfand sich Brock für das Ugly-Casanova-Album „Sharpen Your Teeth“ einen Doppelgänger namens Edgar Graham. Dieser begleitete Modest Mouse auf einer US-Tour, sprach von sich am liebsten in der dritten Person als „Ugly Casanova“ und hatte überhaupt viele Sonnen, Monde und Sterne im Kopf.

So plötzlich, wie er gekommen war, verschwand er wieder, nicht ohne einen Haufen Songs zu hinterlassen. Der Dr. Jekyll in Brock ist der Mr. Hyde in Edgar. Oder umgekehrt. Produktive Ich-Störungen, denen Bekannte von Brock die richtige Struktur gegeben haben, vor allem der Modest-Mouse- und Califone-Produzent Brian Deck.

Auf „Sharpen Your Teeth“ kommt so das Beste aus zwei Indiesubwelten zusammen: auf der einen Seite Isaac Brock, der stranges Planetenhopping betreibt und Zeilen singt wie „The parasites are excited when you’re dead, eyes bulging, entering your head“; der Diamanten auf dem Gesicht des Teufels sieht. Oder dessen Herz stillsteht, das Blut aber weiter durch die Gefäße fließen fühlt. Brock on Acid. Ein Mann, der weiß, wo es sich die Toten schön machen. Der vielleicht aber nur besser als andere in Worte fassen kann, wie weit Musik trägt. Der immer weiter und weiter will.

Auf der anderen Seite dann Brocks Mitstreiter. Die vertonen kongenial den Irrsinn Brocks mit Tunes zwischen Lo-Fi, Folk und Disco (!), mit federnden Grooves und sprödesten Arrangements. Ist Brock down, schwingen sie locker, werden sie knarzig, wird Brock ein sexy Crooner. Ein schönes Wechselspiel. Ein Indie-Klassiker!

Ähnlich wie Isaac Brock wirkte auch Ian Svenonius lange wie ein Fremdkörper im Indieland. Nicht der Herkunft wegen, eher der Zugänge halber. Bedeutet Indie in der Regel, hingebungsvoll an musikalischen Entwürfen zu arbeiten, so sind Glamour und Agitprop verpönt. (Das ändert sich ja gerade erst mit Bands wie den Strokes, Hives oder Vines). Mit Nation Of Ulysses und The Make Up aber inszenierte Svenonius Pop als Politik und Rock ’n’ Roll als Sex. Gut aussehen und politisch sein war für ihn kein Widerspruch, die alte 82er-Schule halt. Glaubte man Svenonius, war die Revolution nur eine Frage der Zeit, stand das 13-Punkte-Programm zur Zerstörung Amerikas, so ein Nation-Of-Ulysses-Albumtitel, kurz vor der Vollendung. Wer das bezweifelte, hatte wenigstens den geilen, hysterischen Rock ’n’ Roll von The Make Up zwischen Garage und Gospelchor. (Wer dazu aber Soul sagt, bekommt es mit Brock zu tun!)

Dass das Herbeisingen einer Revolution, die niemals kommt, Abnutzungsspotenziale in sich birgt, kann man sich vorstellen. The Make Up liegen auf Eis, und Svenonius singt nun in einer Band, die Weird War heißt und den Ex-Royal-Trux-Gitarristen Neil Haggerty in ihren Reihen hat. Die Betonung in den Songs liegt auf weird, nicht auf Krieg, den führen andere, und die 13 Stücke streben in tausend Richtungen. Balladen, Boogierock, Garagenhits. Dann auch Flötenknödeleien und ein Song, in dem Maggie Mae, Svenonius’ Mitstreiterin aus alten Tagen, Dolly Parton, Kim Gordon oder Kendra Smith in sich vereint. Verlass ist nur auf Svenonius’ Gesang, der jeden Schlenker mitmacht, dieses wilde Gefüge aber zusammenhält. Wenn er dann einmal unentwegt „I live in a dream“ singt, weiß man: Der gibt nie auf! GERRIT BARTELS

Ugly Casanova: „Sharpen Your Teeth“ (SubPop/Cargo); Weird War: „Weird War“, (Domino/Zomba)

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