Eine Region als Labor

Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt untersucht Gemeinschaftseinrichtungen in Brandenburg: Probleme des Landes sollen im Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem gelöst werden

von VERENA MÖRATH

Brandenburgs Probleme sind bekannt: Einwohnerschwund, Überalterung, hohe Arbeitslosigkeit, mangelnde Infrastruktur – kurz: fehlende Perspektiven. An einer unkonventionellen Lösung dieser Probleme versucht sich seit knapp acht Monaten ein ungewöhnliches Forschungsprojekt, bei dem Einrichtungen von Dörfern und Kleinstädten in Brandenburg unter die Lupe genommen werden: Stecken in Nachbarschaftstreffs, Beratungs- und Betreuungsinitiativen, in Tauschringen und Werkzeugpools, in Kleiderbörsen oder Kulturzentren Potenziale, die den geschwächten ländlichen Strukturen langfristig auf die Beine helfen können?

Ökonomie, Ökologie und soziale Aspekte sind die Eckpfeiler des interdisziplinären Forschungsprojekts „Gemeinschaftsnutzungsstrategien als Faktor für die Stabilisierung und nachhaltige Entwicklung in ländlichen Räumen Brandenburgs“. Finanziert wird es durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Das Projekt ist Teil des BMBF-Förderprogramms „Nachhaltiges Wirtschaften: Möglichkeiten und Grenzen von neuen Nutzungsstrategien (NUR)“.

Das Forschungsvorhaben ist in fünf Teile gegliedert. Während einer Laufzeit von drei Jahren arbeiten acht Wissenschaftler mit gänzlich unterschiedlichen Fachkenntnissen und beruflichem Hintergrund zusammen. Das Team trifft sich alle zwei bis drei Wochen. Ziel ist es, praxistaugliche Konzepte für die ausgewählten Einrichtungen auszuarbeiten und umzusetzen. In allen Projektphasen setzt man auf das Know-how der Akteure – ob Ehrenamtliche, Beschäftigte oder Nutzer von Einrichtungen. Den wechselseitigen Austausch und die Lernprozesse zwischen Wissenschaft und formellen sowie informellen Strukturen in Brandenburg zu lenken, ist Aufgabe des Teilprojekts Kooperationsforschung. Weitere Teilprojekte sind die Implementationsforschung, die den soziokulturellen Hintergrund von Gemeinschaftseinrichtungen ermittelt, und die Bildungsforschung, die nach Weiterbildungskonzepten sucht, soweit sie für die lokale Wirtschaft förderlich sind.

Gerade die Praxisnähe dieser Forschung findet Monika Piek von der Landesagentur für Struktur und Arbeit Brandenburg GmbH (Lasa) besonders spannend. Piek ist verantwortlich für das Teilprojekt Beschäftigungsforschung, das Modelle für zukunftsfähige Beschäftigungsformen in den untersuchten Einrichtungen entwickeln soll. Außerdem koordiniert sie das Forschungsteam. Dabei gilt: „Interdisziplinarität soll mehr sein als nur ein Schlagwort. Wir müssen alle Einzelinteressen unter einen Hut kriegen und uns gleichzeitig anderen Fragestellungen öffnen.“ In ihrem normalen Berufsalltag als Expertin für Arbeit und Beschäftigung seien ökologische oder soziokulturelle Aspekte bislang nicht wirklich integriert gewesen. Diese gelten aber zunehmend als wichtige Faktoren für eine „nachhaltige Entwicklung“ oder ein „nachhaltiges Wirtschaften“.

Um den Faktor Ökologie geht es im Teilprojekt Umweltforschung des Forschungsbereichs „Sozialökologische Forschung/Feministische Umweltforschung“ an der TU Berlin. Es ermittelt, wann und unter welchen Umständen Einrichtungen im Gemeinwesen umweltentlastend arbeiten. Bislang hat sich jedoch herausgestellt, dass viele Einrichtungen weniger umweltbelastende Produkte oder Dienstleistungen nutzen als angenommen: „Hier ein PC, dort eine Kaffeemaschine.“ Genau betrachtet zeigten Statistiken, dass wirtschaftlich schwache Regionen wie Brandenburg eher weniger Umweltressourcen verbrauchen als wirtschaftlich starke Regionen. Einen leichten Einstieg hatte Angelika Tisch, Technikerin für Umweltschutz, nicht: Vor Ort ist die Sorge um die Umwelt geringer als die Sorge um Arbeitsplätze und Abwanderung. Genau dies sei aber die Herausforderung und Inhalt sozialökonomischer Forschung: Ökologisch relevante Entscheidungen werden immer in einer Abwägung vieler Faktoren getroffen, die nicht konfliktfrei nebeneinander stehen. So ist Schwerpunkt ihrer Untersuchung, in welchem Kontext sich in Einrichtungen des Gemeinwesens in Zukunft umweltentlastende Konsummuster und Produktnutzungen durchsetzen würden.