Aktiv arbeitslose Vulkanesen

Als die Vulkan-Werft vor fünf Jahren zumachte, fing der Verein „Arbeit und Zukunft“ offiziell an. Doch viele Vulkanesen haben mit der Vergangenheit abgeschlossen. Beim Sommerfest zum historischen 15. August ließen sich Schiffbauer kaum sehen

„Ich habe mein Glück gezwungen“, sagt Merlüt Senokur. Sein Glück: Als die ökumenische Arbeitslosenberatung „Arbeit und Zukunft“ am Freitagabend in Bremen-Nord ihr fünfjähriges Bestehen feierte, war der ehemalige Vulkan-Betriebsrat nicht als Klient eingeladen, sondern als Kollege. Bei der „Solidarischen Hilfe“ berät der knapp 55-Jährige gelernte Rohrschlosser heute selbst – überwiegend eingewanderte ehemalige Schiffbauer-Kollegen und ihre Familien, von denen nach der Vulkan-Pleite 1997 immer noch viele Hilfe suchen: Schulden, Familienprobleme, Komplettfrust.

„Wer damals über 40 Jahre war, hatte doch auf dem Arbeitsmarkt keine Chance“, sagt Senokur und sein ehemaliger Kollege, mit 49 Jahren Frührentner aus Gesundheitsgründen, nickt dazu. Umso höher schätzt Senokur sein eigenes Glück – obwohl es doch auch nur begrenzt ist. Er ist im dritten ABM-Jahr. Danach ist seine Zukunft wieder offen. Zum x-ten Mal seit dem 15. August 1997, dem Tag, als die Sirenen auf der Vulkan-Werft zum Abschied heulten. Viele Arbeiter waren da schon zuhause geblieben. Das demonstrative Ende, ein rituelles Schutzhelm-in-die- Ecke-werfen, platzte mangels Masse. Doch zu „Arbeit und Zukunft“ kamen die Leute.

„Hier hatte doch anfangs die Auffanggesellschaft Mypegasus ihren Sitz“, blickt Senokur auf das weiße Altbremer Haus. Mit fast 50 anderen sitzt er heute im Garten des Vereins, der eine Etage in der Vegesacker Innenstadt „bewohnt“. Die meisten der Anwesenden sind wie er in der späteren Lebensmitte. An die Generation 40+ hatte sich das Angebot des Vereins vor allem gerichtet: Coaching und Arbeitsberatung, Assistenz im Umgang mit dem Arbeitsamt, und, und, und ...

„Wir wollten Trommeln dafür, dass man Leute über 40 mit all ihrem Fachwissen nicht einfach zum alten Eisen werfen kann“, wird wenig später Vereinsmann Detlef Marzi an die ersten Stunden des Vereins erinnern, der bis heute symbolisch Trommeln an Firmen vergibt, die Langzeitarbeitslose und Ältere beispielhaft integrieren. „Dieses Jahr vielleicht sogar im Rathaus“, hofft Marzi auf einen Termin, der nur sieben Tage vor der Wahl liegen würde. Davor findet noch die obligatorische Einladung an die Parteienvertreter statt: Was wollen Sie tun ...?

„Auf die Ergebnisse der Hartz-Kommission bin ich schon gespannt“, sagt der ehemalige Kurierdienst-Fahrer unter Sekonurs Sonnenschirm. Erst im Februar hat er eine Computer-Fortbildung abgeschlossen. Mit dem Zertifikat war er bei fünf Zeitarbeitsfirmen. „Da bin ich direkt hin“, sagt er. Trotzdem hat er kein Angebot bekommen.Vor der Rente hat der 56-Jährige Angst. „Ich bin nicht gerne inaktiv“. Morgen wird er wieder die Zeitung lesen – und sich direkt vorstellen, wo man ihn vielleicht gebrauchen könnte. Mit seiner Tante hat er schon einen Umzug beraten. „Aber die Wohnung aufgeben – und am Ende klappt es nicht?“

„Dieses Gerede von der Flexibilität“ hat vorher schon eine Andere gegeißelt. Lautstark. Auch sie mit schlechten Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt. „als Nierentransplantierte behandeln sie dich doch, als wärst du gehirnamputiert“, schimpft sie. Was viele Politiker sagten, grenze an Stimmungsmache auf Kosten von Arbeitslosen. Bei „Arbeit und Zukunft“ ist sie heute Gast. „Ich habe keine Probleme. Ich brauche keine Gruppen,“ sagt sie. Es sind fast nur Gäste gekommen, kaum ratsuchende Ex-Vulkanarbeiter. „Es sind nur fünf da“, blickt Merlüt Senokur bedauernd in die Runde.

Doch dann sind sie plötzlich ganz präsent: Als Rolf Spalek, Ex-Vulkan-Betriebsrat, über die Schiffbauer spricht, die die Maloche auf der einst legendären Werft mit ihrem Leben bezahlt haben. „Heute Vormittag war ich wieder auf einer Beerdigung“, sagt er. Asbestose. Der grausame Lungenkrebs. Senokur zuckt. „Ich habe früher auch Rohrleitungen von der Asbestummantelung befreit“, flüstert er. Es ist ganz still geworden. Denn Spalek, der das Glück auch gezwungen hat und immer wieder einen befristeten Arbeitsplatz als Gesundheitsberater für Ex-Vulkanesen erkämpft hat, berichtet von einer 72-Jährigen. Die hatte zwei Jahre in ihrem Leben als Sacknäherin Jutesäcke für den Transport geflickt. Daraus rieselte der gefährliche Staub. Jetzt wird sie daran kläglich ersticken. Ohne Geld, noch dazu. „Ich kenne Frauen, die das auch haben“, sagt Senokur. Die haben sich den Krebs geholt, als sie den Männern die Klamotten sauber gemacht haben. Vorne sagt Spalek: „Ich kenne keine Frau, die als Hinterbliebene mehr als 1.900 Mark kriegt.“ Der graue Kurierfahrer schluckt. „Das sind ja nur 900 Euro.“ Irgendwie sinkt der Wert eines Arbeitsplatzes, den er wie viele hier gerne hätte, darüber doch beträchtlich. Und das Bild von den starken Metallern im Bremer Schiffbau verblasst.

Eva Rhode