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Charmantes Daumenschraubenkino

Bei der Hartz-Kommission gibt es keine Diskussionen, sondern seltsame Piktogramme und Fadenkreuze

Mit einem Konzept, daskeines ist, beladen, zerstreuensich die Zuhörer

Am vergangenen Freitagnachmittag geschah es, und – oha! –drei Stunden sollte es dauern: Da wollte die „Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ihren Bericht der Öffentlichkeit vorstellen. Im Anschluss würden „Gewerkschafter, Vertreter der Unternehmer, der Kirchen und der Sozialverbände“ das so genannte Hartz-Papier diskutieren, so die Pressestelle des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Beides war gelogen.

Eine gute Stunde lang nämlich zeigte Peter Hartz dank modernster Technik ein Schaubild nach dem anderen auf zwei eigens montierten Leinwänden in der Berliner Friedrichstadtkirche. Die Grafiken mit Titeln wie „Der Auftrag“ zeigten seltsame Piktogramme wie Fadenkreuze, Münzstapel und Pfeile, die sich um eine Glühbirne gruppieren oder kleine blaue Männchen, die am Ende einer Spirale von weißen Männchen in die ausgebreiteten Arme grauer Männchen geschoben werden.

Begleitend hierzu sprach Hartz von „ganzheitlichen Lösungen“ und verlor sich nicht einmal im Detail. „Es sind neue Gedanken dabei mit unheimlich viel Charme“, versicherte der Kommissionschef zum Beispiel, während er die Grafik „Ältere Arbeitnehmer“ zügig wieder vom Schirm entfernte, das alles würde man aber ja später noch „genauer erklären“, „vorstellen“ und „diskutieren“.

Wie charmant die Ideen der Hartz-Kommission sind, konnte jedoch gar nicht diskutiert werden, denn auch im Anschluss an Hartz’ Vortrag verzichtete die Runde darauf, Einzelheiten zu erläutern. Wer mehr wissen wollte, musste sich zum Ausgang bewegen und das Kommissionspapier abholen. Zurück durfte man dann zwar nicht mehr, aber bei Kaffee und Kuchen hinter einem Absperrband auf dem Gendarmenmarkt im Hartzschen Wälzer lesen. Sich dann umschauen, einen Mann mit Werkzeugkoffer beobachten und sich ausmalen, wie dessen Zukunft aussähe, würde er gekündigt und hieße er Herr Mayer. Dann müsste Herr Mayer nämlich sofort sein Arbeitsamt informieren. Tut er das erst drei Tage später, muss er bis zu 150 Euro Strafe zahlen.

Für den ersten Termin im „Jobcenter“ muss ihn sein Arbeitgeber freistellen. Beim zweiten Mal muss Herr Mayer dafür Urlaub nehmen. Im „Jobcenter“ ist ein persönlicher Betreuer für Herrn Mayer zuständig. Wenn es ihm gelingt, seinen Kunden schnell zu vermitteln, erhält er dafür eine Prämie. Für Herrn Mayer gibt es aber keine Arbeit. Noch nicht. Nach drei Monaten ändert sich das aber: Jetzt muss Herr Mayer auch einen Job annehmen, der ihm ein Drittel weniger Geld als zuvor einbringt. Er kann auch nicht darauf bestehen, seinen erlernten Beruf ausüben zu wollen.

Sein Vermittler erklärt ihm, welche Tätigkeiten zu Herrn Mayers „Job-Familie“ gehören und dass ohnehin jede Beschäftigung als zumutbar gilt. Alles, was den Bezug von Arbeitslosengeld beendet, käme in Frage. Und weil Herr Mayer nicht verheiratet ist, solle er nun nach Frankfurt umziehen. Dort hat sein Vermittler etwas für ihn aufgetrieben, keine Widerrede. Herr Mayers Freundin findet keine Stelle in Frankfurt, aber einen neuen Mann in Berlin. Das Unternehmen in Frankfurt geht pleite und Herr Mayer wieder zum Arbeitsamt. Das beschäftigt ihn diesmal in seiner eigenen Zeitarbeitsfirma. Herr Mayer möchte das zwar nicht, er will einen festen Job, aber die angedrohten Sanktionen, die schrittweise Kürzung seines Arbeitslosengeldes, kann er sich nicht leisten.

Sechs Monate lang wird Herr Mayer einen Lohn in der Höhe seines neuen Arbeitslosengeldes bekommen. Er ist nämlich in der Probezeit. Nach vier Monaten verleiht ihn das Arbeitsamt an eine Firma, die Herrn Mayers Arbeitsleistung eine Weile ausprobieren will. Die Firma zahlt sogar recht gut – mehr als das Arbeitsamt, sogar mehr als der festgelegte Tarif. Herr Mayer wird an diesem „Mehrerlös seines Einsatzes“ beteiligt. Alles kriegt er nicht, und ohnehin gibt ihn der neue Arbeitgeber nach zwei Monaten zurück, weil er festgestellt hat, wie leicht inzwischen billigere Arbeitskräfte zu haben sind.

Am Gendarmenmarkt scharen sich neugierige Touristen um das Absperrband. Im Französischen Dom ist die Diskussion, die keine war, beendet. Am Straßenrand warten Limousinen auf die Mitglieder der Hartz-Kommission. Mit dem Konzept, das keines ist, beladen, zerstreuen sich die Zuhörer. Wer U-Bahn fährt und in Berlin-Neukölln aussteigt, sieht dort an einer Bushaltestelle das großformatige Versprechen Gerhard Schröders, „das Soziale“ auszubauen.

Ein alter Mann mit Gehhilfe kommt vorbei. Er stoppt. Ganz langsam bückt er sich und streckt die Hand nach einer Zigarettenkippe aus. Er steckt sie in einen kleinen Leinenbeutel, der schon halb gefüllt zu sein scheint.

Neue Zigarretten aus altem Tabak – eine pfiffige, ja sogar eine charmente Geschäftsidee für die zukünftigen Betreiber von Ich-AGs.

CAROLA RÖNNEBURG

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