Machtmädchen, Mädchenmacht

Hundeaugen und HängeschuItern: Im U-Bahnhof Reichstag wurde „Angela. Eine Nationaloper“ uraufgeführt. Dabei brauste mehr Beifall auf als einige hundert Meter entfernt bei Sabine Christiansen, wo die echte Angela Merkel saß

Stoiber saß entspannt in seinem Stuhl, wippte ein wenig mit seinem Oberkörper und klärte stoisch die K-Frage: „Das Heil für Deutschland ist immer schon vom Süden ausgegangen.“ Angela Merkel konnte da nur stumm und paralysiert vor sich hinblicken. Mit diesen traurigen Hundeaugen und Hängeschultern starrte sie auf ihren Kontrahenten.

Sie war ausgebootet worden. Endgültig. „Sie kann es nicht, wird es nie können“, hatten sie immer im Chor geflüstert. „Wir werden ja sehen, wer übrig bleibt“, hatte Stoiber immer wieder mit diabolischem Blick und bedrohlichem Tonfall eingeworfen. Jetzt also war ihre rasante Parteikarriere gestoppt. Angie am Ende. Ihr Pflaumenkuchen gelinge ihr eigentlich immer, sagte sie noch in einem Interview. Danach dann endgültig Stille.

Während mehrere Meter tief unter der Erde vor dem Paul-Löbe-Haus der Beifall aufbrauste und sehr lange nicht enden wollte, saß einige hundert Meter Luftlinie entfernt im Studio von Sabine Christiansen eine andere Angela Merkel in einem Stuhl, wippte mit dem Bein und schaute mit traurigem Hundeblick in die Runde.

Der Beifall hier fiel deutlich schwächer aus. Diese Angela war auch schließlich echt und feierte zudem keine Premiere. Zwischen Bundeskanzleramt und Paul-Löbe-Haus allerdings, tief unten in der Bauruine des geplanten U-Bahnhofs Reichstag, wurde zu Recht die Uraufführung einer Opernproduktion bejubelt, wie man sie – leider – nicht alle Tage erlebt.

Zugegeben, „Angela. Eine Nationaloper“ von Frank Schwemmer (Musik) und Michael Frowin (Text) ist eine klassische Event-Nummer. Mitten in der Hochphase des Wahlkampf an einem spektakulären Ort eine Oper über eine immerhin noch aktive Bundespolitikerin über die eigens eingerichtete Bühne gehen zu lassen, das sorgt von selbst für Aufmerksamkeit. Eine ganze Heerschar von über siebzig Journalisten war gekommen, um wahrscheinlich einfach nur bisschen Politsatire zu erleben. Diese Erwartungen jedoch wurden, bis auf wenige Momente, enttäuscht. „Angela“ ist kein kabarettistischer Schnellschuss, sondern ein dramaturgisch wie ästhetisch äußerst kompliziertes und sehr durchdachtes Kunstwerk.

Michael Frowin hat auf Basis von Eveyln Rolls Merkel-Biografie „Das Mädchen und die Macht“ mit Zitaten aus Reden, Interviews und Zeitungsartikeln ein eindringliches und vielschichtiges Porträt der Politikerin montiert. Merkel als eine Frau, die durch die Gunst der Stunde innerhalb des Parteiapparates nach oben gespült wird. Eine, die nicht leicht zu packen ist, eine, die deshalb immer viele Skeptiker in den eigenen Reihen behalten muss.

Sie hat Selbstironie und leiert die kursierenden Merkel-Witze über ihre Frisur herunter. „Ich werde mich nicht ganztägig um meinen Pony kümmern“. Doch die permanenten Angriffe haben auf Dauer Wirkung. Kathrin Unger, die den Habitus der Angela Merkel mit kleinen Gesten zu evozieren versteht, spielt die Politikern als eine stoische Kämpferin, eine Ritterin von der traurigen Gestalt, umgeben von neidischen Männern.

Ein ewig stichelnder Roland Koch (Michael Bielefeldt), ein diabolischer Stoiber (Stephan Korves) – nur Helmut Kohl ist erstaunlicherweise im Libretto gänzlich ausgespart. Die Politik, ein Haifischbecken. Der kahle Betonraum des U-Bahnhofs verströmt trotz des mit scheußlichen Pril-Blumen gemusterten Teppichs (Bühne: Tom Musch) nicht gerade Wärme aus.

Frank Schwemmers Komposition, mit starken Anleihen an die Zwölftonmusik, durchsetzt mit Zitaten aus Volkslied und Jazz bis zu kirchlichen Chorälen, ist hart rhythmisiert, so als strebe hier ein archaisches Drama einem unausweichlichen, furchtbaren Ende entgegen. Robert Lehmeiers Regie stützt dieses Gesamtkonzept und wahrt eine fast minimalistische Strenge.

Lächerlich wird hier niemand gemacht. Wenn, dann entlarven sich die Politikerpersönlichkeiten durch ihre eigenen Zitate. Bis auf die traditionelle Buffo-Figur, wie sie in keiner klassischen Oper fehlen darf. Die ist Guido Westerwelle (Christian Grygas) vorbehalten: Ein Spaßgesellschaftspolitiker, der in jede Kamera grinst. Wie im richtigen Leben. AXEL SCHOCK

Nächste Vorstellungen am 20., 29.–31. 8. sowie 1., 5.–8., 12.–15. 9., jeweils 20 Uhr, U-Bahnhof Reichstag, Paul-Löbe-Allee zwischen Paul-Löbe-Haus, Bundeskanzleramt und Reichstag, Mitte . Kartentelefon 68 89 07 77 oder www.angela-singt.de