vorlauf
: Rechte Volkswut

„Deutschland den Deutschen!?“ (23.00 Uhr, NDR)

Rostock-Lichtenhagen vor zehn Jahren: Vietnamesische Bürger werden von Rechtsextremen angegriffen. Hans Jahn und Michael Schmidt dokumentieren, wie die politische Absicht der Änderung des Asylrechtsartikels 16 im Grundgesetz mit der entfesselten Gewalt des Straßenmobs einherging: Das adäquate Klima, um jene Gesetzesverschärfungen durchzusetzen, die Flüchtlingen hierzulande staatlich legitimiert das Leben erschweren.

Mit Archivbildern ruft der Film die erschreckenden Geschehnisse an jenem Augusttag in Erinnerung und zeigt, wie die Rostocker Bevölkerung die Straftäter anfeuert. Sie schützte sie sogar vor dem Zugriff der Polizei, wie der Rostocker Polizeimeister Guido Nowak bezeugt. Es herrscht Pogromstimmung: „Der Mob tobt sich aus, die Staatsmacht liegt am Boden“, kommentieren die Autoren.

Der Skandal ist tiefgreifend, wie die Reportage präzise belegt: Weitgehende Untätigkeit einer schlecht ausgerüsteten Polizei; nachträglich handschriftlich verfälschte Protokolle mit verharmlosender Darstellung sollen das Nichteingreifen offenbar rechtfertigen; obendrein ein verschleppter Prozess wegen Brandstiftung und versuchten Mordes, der erst neuneinhalb Jahre später beginnt.

Sichtbar wird im Film auch: Der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) nutzte die rassistische Volkswut 1992, um auf Änderung des Asylrechts zu drängen. Vor der Presse plädierte er, den „Zustrom“ von Wirtschaftsflüchtlingen einzudämmen. Auch Berndt Seite (CDU), Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, signalisierte Verständnis für die „überforderte“ Bevölkerung.

Die Reportage nimmt die journalistische Aufgabe der Kontrolle staatlicher Institutionen ernst. Sie zeigt, wie ausländerfeindliche Strömungen von Politikern verstärkt wurden. In welch unfeine Gesellschaft sich die CDU dabei begab, verdeutlichen Ausführungen des Ex-Neonazis Ingo Hasselbach: Führende Rechtsextremisten seien vor Ort gewesen, um die Gewalttäter in ihre Parteien zu rekrutieren. Das müsse diesen wie eine Belohnung erschienen sein. Bedauerlich, dass ein solch analytischer Film nicht zur Primetime im Ersten läuft. GITTA DÜPERTHAL