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: Fernsehen in Zeiten des Hochwassers: Quote ohne Qualitätskontrolle

Die Flut zeigt, wie schlecht Fernsehen sein kann. Beileibe nicht nur die privaten Unterhaltungssender, auch die beiden Nachrichtenkanäle und der besonders geforderte Mitteldeutsche Rundfunk werden weder ihrem Berichterstattungs- noch ihrem Beratungsauftrag gerecht.

Viele Mängel sind nicht mit Aufregung und Übermüdung zu erklären. Uninformiertheit: Ein Nachrichtensender lässt die Flut den halben Sonntag lang einen Ort namens Wittenbergen bedrohen; ist es Wittenberge oder Wittenberg? Falschmeldungen: Gerade liegt in Dresden der Pegel stabil, da meldet ein Reporter, dass die Elbe in Schöna wieder steige. Katastrophismus: Der Chemiepark in Bitterfeld ist auch in dieser Extremsituation hochwassersicher – aber das ist Berichterstattern von dort offensichtlich so unrecht, dass sie sich gewundenster Formulierungen bedienen, um bloß kein Beruhigungsfernsehen zu betreiben. Suggestion: Die Cut-outs, die Bildchen hinter den Nachrichtensprechern, zeigen Zerstörungen aus Grimma, auch wenn es um Magdeburg mit seiner ganz andersartigen Bedrohungslage geht. Handwerkliche Fehler: Von „chaotischer Lage“ ist die Rede, während ruhiges Sandsack-Reichen gezeigt wird; merkwürdig, dass solche Text-Bild-Scheren nie andersherum passieren. Lügen: Da versichert der Reporter im Hubschrauber gleich zweimal, die Wasserwüste schnüre ihm den Hals zu – aber danach sieht er nicht im Entferntesten aus. Wenn wir schon von überfluteten Stadtteilen hören, würden wir gerne auf Skizzen sehen, wo genau sie liegen – oder sind diese Zonen zu klein, um auf einer Fernsehkarte beeindruckend rüberzukommen? Interviews sind ein besonders übles Kapitel. Reporterin behauptet Einschätzung A, Fachmann beruhigt mit Einschätzung B, letzter Satz der Reporterin: Niemand kann ausschließen, dass A eintritt. Und die Studioleitung macht’s möglich, dass so etwas auf Sendung geht.

Medienschelte ist eine undankbare Angelegenheit. Aber das deutsche Fernsehen hat selbst bewiesen, dass es auch besser kann. Die Katastrophenberichte von der Oderflut, besonders aber vom ICE-Unglück bei Eschede stellten über weite Strecken die Fakten genau dar und fanden selbst bei Spekulationen meist einen angemessenen Ton. Aber diese Ereignisse fanden an überschaubaren Orten statt. So kontrollierten sich die Fernsehstationen mit ihrem Angebot gegenseitig, weil die Zuschauer vergleichen konnten. Dieser Tage jedoch berichten Reporter von vielen Stellen meist als Einzige. Wo immer die Nachrichtenkonkurrenz aufgehoben ist, ist Platz für Hemmungslosigkeit. Das haben viele Sender zu schnell begriffen. DIETMAR BARTZ