Der Sommer des Chamäleons

Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich seefesten Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Heute: Achter Teil

Verdammte Insel. ,,Unn jezz?‘‘ lallte Ilse. ,,Taxi‘‘, schlug ich vor.

Was bisher geschah: Ilses Chamäleon Rama hinfort +++ Player sucht danach +++ bisherige Faktenlage deutet auf Syndikat unter Oberschurke Karl-Heinz Meierdierks hin +++ Player im Rollstuhl +++ Ilse und Player fahren nach Sylt

Die Überfahrt dauerte ewig. Der Kahn stampfte langsam durch die schwere See. Ich musste die Bremsen meines Rollstuhls feststellen, um nicht wie ein wild gewordener Handfeger auf Deck hin- und herzuschießen. Ilse war schon ganz grün im Gesicht, und das harmonierte phantastisch mit ihrem pfefferminzzahnpastafarbenen Kostüm.

Versonnen betrachtete ich, wie sie auf einer Bank vor der Reling saß und tapfer dagegen ankämpfte, die Fische zu füttern. ,,Locker bleiben, Ilse‘‘, sagte ich, ,,immer schön tief durchatmen!‘‘

Sie deutete verzweifelt auf ihre bereits prall gefüllten Bäckchen, dann sprang sie auf und ließ ihrem Mittagessen eine Seebestattung angedeihen. Dachte sie zumindest. Denn unglücklicherweise hatten wir zu diesem Zeitpunkt gerade unseren Zwischenstopp in Helgoland.

Vielleicht interpretierte der Würstchenverkäufer auf dem Pier, der das meiste abbekam, dies als eine Kritik an der Massentierhaltung. ,,Kommen Sie, Ilse‘‘, sagte ich, ,,lassen Sie uns an die Bar gehen und einen bechern. Wenn einem alles egal ist, wird manches einfacher.‘‘ - ,,Meinen Sie wirklich, dass das hilft?‘‘ - ,,Kein Alkohol ist jedenfalls auch keine Lösung‘‘, zitierte ich die Toten Hosen.

Nachdem sie ihre anfänglichen Hemmungen überwunden hatte, legte Ilse einen so gewaltigen Durst an den Tag, dass sie drohte, mich unter die Theke zu saufen. Das konnte ich mir nicht gefallen lassen, und binnen kürzester Zeit waren wir beide stramm wie die Maurer. ,,Das Syndikat, das Syndikat, is sich echt für nix zu schad‘‘, dichtete Ilse. ,,Auf Sylt, auf Sylt, is alles zugemüllt‘‘, konterte ich elegant.

Wir klopften uns noch auf unsere tränennassen Schenkel, als ein Steward uns darüber aufklärte, dass wir bereits im Hörnumer Hafen lagen.

Wie sollte es nun weitergehen? Wir standen auf dem Anleger und schwankten. ,,Verdammte Insel‘‘, sagte ich, nur, weil das auch einmal gesagt werden musste. ,,Unn jezz?‘‘, lallte Ilse. ,,Taxi‘‘, schlug ich vor. Zum Glück standen davon genug am Anleger herum. ,,Zur Festung, Mann!‘‘, trug ich dem Fahrer auf. ,,Ist das eine Kneipe?‘‘, kam es fragend zurück. ,,Vergessenses. Fahrense uns `n büschn rum. Sightseeing.‘‘

Doch viel zu sehen gab es nicht.

Die Insel schien ausschließlich von golfenden Managern und ihren verschrumpelten Ehefrauen bevölkert, die in Mercedes-Limousinen mit albernen Sylt-Aufklebern auf der Heckklappe herumfuhren. ,,Na, da hadder Meierdierks sich ja ne feine Gesellschaff aussesucht‘‘, sallerte Ilse, die für einen Moment vergessen zu haben schien, dass sie ebenfalls zur feinen Gesellschaft gehörte. ,,Meierdierks?‘‘, kam es vom Fahrer. ,,Meinen Sie den Fischbrötchenverkäufer?‘‘ Fischbrötchen also. Dieser Halunke!

Die Fressbude des Gangsters befand sich an der Strandpromenade von Rantum. Meierdierks, der wie ein schlechter Fips-Asmussen-Imitator aussah, stand in seiner schmierigen Butze und wickelte schmierige Fischbrötchen in schmieriges Papier. ,,Sie wünschen?‘‘, fragte er scheinheilig. ,,Lass das Gewäsch, Meierdierks!‘‘, polterte ich. ,,Dein Laden stinkt. Hier is was verdammt faul!‘‘ - ,,Genau‘‘, sagte Ilse. Meierdierks stemmte die haarigen Fäuste in seine speckigen Hüften. „Seid ihr vom Gesundheitsamt oder was? Meine Papiere sind in Ordnung.‘‘ - ,,Du kommst dir wohl sehr schlau vor, wa? Fressbude als Tarnung, häh? Du hass die längste Zeit Chamäleons verwurstet!‘‘ - ,,Oh Rama, Rama, darling!‘‘, heulte Ilse. ,,Seht zu, dass ihr Land gewinnt, ihr Clowns, sonst mach ich euch Beine. So wahr ich Günter Meierdierks heiße!‘‘, drohte Meierdierks.Hoppla. ,,Äh ... entschuldigen Sie uns‘‘, sagte ich kleinlaut, ,,wir haben vergessen, den Herd auszumachen. Ilse! Vollgas!‘‘

Mit unglaublichen fünfundzwanzig Kilometern pro Stunde bretterten wir über die Promenade und kamen erst in der Auslage eines Standes für modische Accessoires aus Chamäleonleder zum stehen. Sollte es sich hierbei um die nächste heiße Spur handeln?