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Strukturalismus, gemalter

Das Oldenburger Stadtmuseum zeigt Werke aus den letzten zehn Jahren des Kölner Künstlers Samarpan / Thematisiert wird die Formwerdung durch Farbe

Erkenntnisblicke wie durch ein rasterndes Elektronenmikroskop

Auf der Höhe der Zeit ist er nicht. Doch was heißt das schon, wenn auf der Documenta in Kassel der Zeitbezug nur Videogequassel meint. Samarpan ist Maler, und sein Gegenstand nicht die sichtbare Realität.

Das Oldenburger Stadtmuseum zeigt Arbeiten des exzentrischen Kölners aus den späten Neunziger Jahren bis Heute.

Samarpan, das bedeutet im Sanskrit „absichtslose Hingabe“. So wurde der fast Fünfzigjährige von einem spirituellen Lehrer in Indien genannt, wohin ihn - neben Nepal, Japan, China - zahlreiche Studienreisen führten.

Eine Endlosrolle im unteren Saal des Stadtmuseums zeigt Reisenotizen als comichafte Kürzel. Marionettenhafte Figuren, Eindrücke, gebannt vom Objekt hingeworfen, ohne Kontrolle.

Ähnlich rasch und in einer Geste entstanden sind offenbar die großen humoristischen Kohlezeichnungen, die menschliche Figuren in unterschiedlichen Positionen zeigen. Etwa eine Frau mit einer Minifigur im Bauch. Ein Tandempaar, voreinander verschränkt. Beischlaf oder Sport? Unklar, was diese Shaddoks treiben. Diese Art von absichtsloser Hingabe ist Methode und Programm der Malerei Samarpans. Er meint, den Bereich zu verlassen, „der uns die Idee des eigenen Entscheidenkönnens vorgaukelt“.

Das steht im krassen Gegensatz zur Erscheinung der Ergebnisse dieses Prozesses der Selbstüberlassung in der Malerei, denn die malerischen Werke Samarpans wirken auf den ersten Blick absolut durchkonstruiert, nahezu technoid.

Das Plakatmotiv „er steigt auf weil er führungslos führt“ suggeriert Stahlformationen, Bänder und Rohre aus Metall, grün-blau schimmernd, die sich ineinander verschachteln und doch im Nichts enden. Da gibt es Durchblicke in ein Dahinter, und doch wird über die Farbperspektive der imaginäre Raum stets wieder in Schwingung versetzt, die Raumillusion zerstört. Die Chose gerät im Auge in Bewegung.

Samarpan bewegt sich in diesen Acrylarbeiten immer in einem festen Farbspektrum - Blau oder Rottöne etwa - kreidige Weißverschleierungen rücken die Gebilde ins Imaginäre.

Andere Arbeiten zeigen funkelnde Kuben in Grün, eingefasst von einer gelben Masse, irgendwie schwebend in einem dunklen Raum. Kristalle assoziiert man da leicht, immer wieder Blicke wie durch ein Elektronenmikroskop auf verborgene Elemente, elementare Strukturen.

Und das ist die These des Malers: Durch die „absichtslose Hingabe“ zu Strukturen vorzudringen, die dem Leben zugrunde liegen und ansonsten nur den Erkenntnisinstrumenten der modernen Wissenschaften zugänglich sind.

Diese Art Offenbarung thematisiert Samarpan. Die schnelltrocknende Acrylfarbe, die rasches Arbeiten und ein Fließenlassen in den Pinsel hinein begünstigt, kommt diesem Credo zugute.

Tatsächlich wirken die großen Gemälde surreal in ihrer Plastizität und Leuchtkraft, der scharfen Abgrenzung der Formen und Flächen zueinander. Was ihnen aber eben auch fehlt, um spannende Malerei zu sein, ist der farbige Gestus, das Umgehenlassen der Farbe mit sich selbst.

Da hat dann wohl doch jemand eingegriffen. Und überhaupt: Wer entscheidet, wann ein Bild fertig ist?

Na bitte, eben doch der Künstler selbst, und nicht das alles Einende, das durch ihn spricht. Nein, überzeugen will das nicht. Spannender sind da schon die Druckgrafiken.

Die jüngsten Radierungen sind teils im Direktauftrag auf die Platte entstanden und zeigen Farbüberlagerungen, die die Rakel ahnen lassen und doch eher aquarellige Effekte bewirken. Dort, wo die Farbe sich ausdünnt, entsteht ein Etwas: Ein Haus erstrahlt im dunkelblauen Wald, eine Stadt glüht in roten Nächten.

Ein Spiel mit Positiv-Negativ-Effekten, das die Formwerdung durch Farbe thematisiert. Vermittelt durch einen technischen Prozess eben doch an ihn gebundene, geleitete Tätigkeit. Denn das hat die moderne Naturwissenschaft auch begriffen: Die Apparate schaffen sich ihre Objekte und bestimmen den Ausschnitt. So auch der Künstler. Er bleibt Subjekt.

Marijke Gerwin

Die Ausstellung läuft bis zum 15. September. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr.

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