Pogrom gewollt?

10 Jahre nach Brand in Lichtenhagen: TV-Journalist Jochen Schmidt erhebt schwere Vorwürfe an Politik

BERLIN taz ■ Zum zehnten Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen am 24. August wird die Frage nach der politischen Verantwortung neu aufgerollt. Gestern stellte der Fernsehjournalist Jochen Schmidt sein Buch „Politische Brandstiftung“ vor. Schmidt, der mit einem ZDF-Team, 120 Vietnamesen und dem Rostocker Ausländerbeauftragten Wolfgang Richter in dem brennenden Sonnenblumenhaus eingeschlossen war, erhebt schwere Vorwürfe: „Rostock-Lichtenhagen sollte als Fanal fungieren. Geplant war von Seiten der Politik eine kontrollierte Eskalation des Volkszorns mit dem Ziel, die SPD zum Einlenken in der Asylfrage zu zwingen.“

In jahrelanger Recherche hat Schmidt „über zwanzig beweisbare Indizien“ für diese These gefunden. So sei die permanente Überfüllung der im Sonnenblumenhaus befindlichen Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber von den Behörden des Landes und der Stadt vor dem Pogrom monatelang ignoriert worden. Außerdem sei wenige Stunden vor dem Brand die Zahl der eingesetzten Polizisten drastisch reduziert worden.

Ein Untersuchungsausschuss des Schweriner Landtags drückte sich später darum, dem CDU-Landesinnenminister Lothar Kupfer und CDU-Ministerpräsident Bernd Seite unangenehme Fragen zu stellen. Beide schweigen bis heute, ebenso wie der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU). „Herr Seiters redet nicht gerne über seine Zeit als Innenminister“, lautete die Antwort seines Büros auf eine Interviewanfrage der taz. „Ein letzter Beweis für die These der Inszenierung fehlt“, resümiert Jochen Schmidt.

Wolfgang Richter sprach bei der Buchvorstellung ebenso wie die Bundesausländerbeauftragte Marieluise Beck von einer „verheerenden Mischung von Überforderung, Ignoranz, Gleichgültigkeit und Versagen“. Er hat keine Hoffnung mehr, „dass die zentrale Frage der politischen Verantwortung noch aufgeklärt wird.“ HEIKE KLEFFNER