Keine Ghettos

Ex-DJ, Clubbetreiber und mittlerweile aufstrebende Größe im alternativen Weltmusikgeschehen: Wagner Pá zu Gast in der Fabrik

Interview: STEFAN FRANZEN

„Soy del color del mundo y del culo del mundo“ – „ich bin von der Farbe der Welt und vom Arsch der Welt“, dichtet der Wahlkatalane Wagner Pá auf seinem aktuellen Album Brazuca Matraca, für das er unlängst mit dem Quartalspreis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde – wohlgemerkt in der Sparte „Rock- und Popmusik“, nicht bei „Traditionelle ethnische Musik, Folklore und Weltmusik“. taz hamburg sprach mit dem Paradiesvogel einer alternativen, tja, Weltmusikszene, die – nicht zuletzt dank Manu Chao – auch hierzulande immer mehr in den Blickpunkt rückt.

taz hamburg: Du bist in Rio geboren und in Brasilia aufgewachsen, lebst aber seit über 15 Jahren in Barcelona – fühlst du dich als Brasilianer?

Wagner Pá: Ja, allerdings auch als Katalane. Sowohl hier in Barcelona als auch in Brasilien sehe ich mich als jemand, der von außerhalb kommt und zugleich von hier. Ein seltsames Gefühl.

Bevor du angefangen hast, eigene Aufnahmen zu machen, hast du als DJ gearbeitet, dann kam es zur Gründung eines wichtigen Clubs in Barcelona.

Ich habe in verschiedenen Discos Funk und afroamerikanische Musik aufgelegt. Später gründeten wir dann den Club Mestizo, eine Art Werkstatt und Nährboden für Gruppen wie Dusminguet und Macaco. Er erwuchs aus einem Treffpunkt für die Hispano-Senegalesen, die dorthin kamen um zu tanzen, aber es war auch ein afrikanischer Friseurladen integriert. Der optimale Schuppen also für die Begegnung von afrikanischen, lateinamerikanischen und einheimischen Musikern.

In Deutschland ist die alternative musica latina sehr populär und die, die aus Barcelona kommt, spielt dabei eine wichtige Rolle. Kannst du uns einen Eindruck davon geben, inwiefern sich die dortige Szene von der anderer spanischer Städte unterscheidet?

Es gibt hier den Einfluss des Mediterranen, außerdem eine starke Elektronika-Gemeinde – und wir haben diese sehr spezielle Szene mit Manu Chao an der Spitze. Dieses Mestizentum zeichnet Barcelona aus, die „Halbblutmusik“, die uns unterscheidet vom Rest Iberiens, die hat unseren musikalischen Ruf in ganz Europa gefestigt. Es gibt hier kein Ghetto der Rockmusik, kein Ghetto der Afro-Szene, alle leben und arbeiten zusammen. Hier kann ich in einen afrikanischen Club gehen und zu Kruder & Dorfmeister schwoofen, am nächsten Tag gehe ich in ein Jazz-Konzert und anschließend zu Dusminguet. Diese manchmal unprofessionelle, improvisierte, aber auch überschaubare Szene hat Manu letztendlich bewogen, hierher zu kommen. Paris wurde ihm zu groß und hochnäsig.

Kannst du etwas über dein Verhältnis zu Manu Chao erzählen, der auf deinem Album gastiert?

Das wird überschätzt. Manus Einfluss äußert sich vielleicht in der etwas lakonischen Art der Produktion. Was das Schreiben angeht, habe ich den größten Einfluss dem Sambafunk-Meister Jorge Ben zu verdanken: diese Art, sehr einfache Melodien und Arrangements zu zaubern. Ich bewundere seine Art, mit synkopierten, eleganten Rhythmen die Tragik in der Poesie aufzulösen.

Du schreibst in drei Sprachen, arbeitest in deinen Texten mit originellen Wortspielen und dein Album heißt übersetzt „Brasilianer, die viel schwatzen“ – welche Stellung haben die Texte in deiner Musik?

Der Sound der verschiedenen Sprachen ist sehr interessant und ich habe meine Musik so konzipiert, daß sie nach verschiedenartigen Klängen in den Texten verlangt. Ich denke seit geraumer Zeit in verschiedenen Idiomen, also will ich auch in verschiedenen Idiomen dichten. Dabei sind es die Klänge der Worte, nicht so sehr ihre Bedeutung, die für mich wichtig sind.

Du kritisierst die Globalisierung als „mystischen Kreis“ ...

Eigentlich bin ich weder für die Globalisierung noch dagegen – ich thematisiere in „Circo mistico“ eher, dass der Einzelne heute nicht mehr durchblickt, was in dieser verrückten Welt geschieht. Es geht es darum, dass wir alle Götter, die wir mal hatten, verloren haben. Die neuen Götter sind manchmal Wissenschaften, auch Künstler, manchmal aber auch die Globalisierung und Phänomene, die mit ihr einher gehen, wie Markenartikel. Das scheint die zeitgemäße Mystik zu sein.

Donnerstag, 21 Uhr, Fabrik