Gestriges Blut und tote Pferde

Kühn-expressionistische Sprachbilder und gnadenlose Wahrheitsliebe: Isaak Babels Erzählzyklus „Die Reiterarmee“ kommt im Monsun Theater als „Nicht totgeschlagene Mörder“ auf die Bühne

„Ich muss in die Seele des Kämpfers eindringen, dringe ein, all das ist schrecklich, wilde Tiere mit Prinzipien.“ 1920 ist Isaak Babel Korrespondent im polnisch-russischen Krieg. Er begleitet ein Kosakenheer, das auf der Seite der Roten Armee kämpft. Die Bolschewiki träumen von der Weltrevolution, die Polen von einem Großreich zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. In Galizien, das im Osten zur sowjetischen Ukraine und im Westen zu Polen gehört, treffen sie aufeinander. Neben den polnischen und russischen Galiziern leben hier zu dem Zeitpunkt auch fast eine Millionen Galizische Juden. Sie haben unter dem polnisch-russischen Krieg gleich doppelt zu leiden, denn sie werden von beiden Kriegsparteien gleichermaßen geplündert, geschändet und verfolgt.

Auch Babel ist Jude. Als russischer Korrespondent und überzeugter Bolschewik verschweigt er seine Identität und arbeitet unter Pseudonym. Doch statt die Schlachten in leuchtenden Farben zu schildern, beschreibt Babel die Erbarmungslosigkeit des Krieges und die Leiden der Schwächsten: „Wie wir die Freiheit bringen – schrecklich.“ Seine (selbst)kritische Haltung und gnadenlose Wahrheitsliebe wird Babel zum Verhängnis: 1940 wird er unter Stalin zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Babels Reiterarmee ist aber nicht nur historisch interessant, sondern auch literarisch bedeutsam. Seine Sprache strotzt vor kühnen expressionistischen Bildern: „Die orangefarbene Sonne rollt über den Himmel, wie ein abgehackter Kopf (...). Der Geruch von gestrigem Blut und getöteten Pferden tropft in die Abendkühle.“ Die Einfache Bühne, auch in ihren bisherigen Produktionen auf russische Literatur spezialisiert, hat gemeinschaftlich während der Proben aus dem Erzählzyklus ein Theaterstück erarbeitet. Die Inszenierung verzichtet bewusst auf feste Rollen und Handlungsstränge und versucht stattdessen, Babels gewaltige Sprachbilder auf der Bühne sichtbar zu machen.

Stefanie Richter

Premiere: Donnerstag; weitere Vorstellungen: Freitag, Sonnabend, 29., 30. und 31.8., je 20 Uhr, Monsun Theater