Paradiesvogel auf Bewährung

Noch fehlt die Zustimmung des Kartellamtes zum Kauf des Berliner Verlags durch die Holtzbrinck-Gruppe. Bis zur endgültigen Entscheidung muss sich der „Berliner Kurier“ als erhaltenswert beweisen

von MARKUS MÜNCH

Der Berliner Kurier kann die Hauptstadt noch neu entdecken: „Fremde Welt Kreuzberg.“ Eine Gruppe von Jugendlichen aus Marzahn-Hellersdorf, einem Bezirk im Ostteil der Stadt, wagt sich in den berüchtigten Westbezirk. „Kreuzberg? Da gibt’s doch nur Türken, Kopftücher, Drogen und Randale.“ Doch nachdem Ilknur und Wafaa den „20 jungen Leuten aus dem Jugendclub Marzahn“ alles ein bisschen erklärt haben, finden sie Kreuzberg „cool“ und stellen fest, dass auch hier „alles ziemlich normal ist“. Und der Kurier hat seinen Lesern wieder einmal ein Stückchen vom Westen näher gebracht.

„Früher war das unsere Hauptaufgabe“, sagt Chefredakteurin Caroline Methner: „Die Menschen an die Hand zu nehmen und ihnen zu erklären: So funktioniert der Westen.“ Denn der Kurier – zu DDR-Zeiten BZ am Abend – ist das traditionelle Boulevardblatt der Ostberliner.

Und seit zwei Monaten der Paradiesvogel im bieder-seriösen Stall der Verlagsgruppe Holtzbrinck. Der Stuttgarter Konzern (Handelsblatt, Zeit) gibt in Berlin den Tagesspiegel heraus und hat unlängst zusammen mit dem Kurier auch dessen Schwesterblatt Berliner Zeitung von der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr gekauft.

Zu spüren ist davon noch nichts. Zum einen müssen die Wettbewerbshüter die Übernahme absegnen: „Bis zur Entscheidung des Kartellamtes passiert hier gar nichts“, sagt Chefredakteurin Methner. Damit ist laut Bundeskartellamt nicht vor Mitte November zu rechnen. Zum anderen weiß Holtzbrinck offenbar auch nicht so recht, was man mit dem seriösen Boulevardblatt eigentlich soll. Für Experimente mit ungewissem Ausgang war der neue Eigner bislang nicht gerade bekannt.

In der Kurier-Redaktion sieht man die Zeit bis zum Kartellamtsbeschluss als Bewährungsprobe und will sich beweisen: „Zuerst waren wir alle verunsichert, das hat sich aber in eine Art Aufbruchsstimmung verwandelt. Jetzt haben wir noch mal eine Chance, durchzustarten“, beschreibt der stellvertretende Chefredakteur Jan Schmidt die Stimmung.

Langfristig bleiben aber Fragezeichen: Ein Bestandsgarantie gab es in den wenigen öffentlichen Holtzbrinck-Äußerungen nur für die Berliner Zeitung, nicht für den Kurier. Der Nutzen des Boulevardblatts für die anderen Titel der Verlagsgruppe ist eher gering. Immerhin, Fotos werden schon immer mit der Berliner Zeitung ausgetauscht. Dabei steht der kleinformatige Kurier noch ganz gut da. Zwar ist auch seine Auflage in den vergangenen Jahren stetig gesunken, aber nach wie vor ist er die Nummer zwei der Hauptstadt-Boulevardblätter, deutlich hinter dem Marktführer B.Z., aber noch vor der Bild-Regionalausgabe Berlin/Brandenburg. Doch während der im Osten Berlins klar marktführende Kurier nur rund ein Zehntel seiner Leser im Westen der Hauptstadt findet, ist knapp ein Viertel der BZ-Leser im Osten zu Hause.

Beim Kurier setzt man allerdings auf die Stammleser Ost: Die seien ihrem Blatt wenigstens treu und läsen es im Schnitt 55 Minuten täglich, so Methner. Doch das Leseverhalten gehe bereits ein bisschen in Richtung Bild: „Mehr People-Geschichten das wollen die Leute.“

Die Stärke des Kuriers bleibt aber die Ostorientierung. Kurz nach der Wende drückte sich das sehr drastisch aus: Ein Titelbild mit einem Westberliner Wahrzeichen wäre schon Hochverrat gewesen. „Ein Foto vom Charlottenburger Schloss wäre unmöglich auf die Seite eins gekommen, das musste wenigstens das Brandenburger Tor sein“, sagt Methner. Ganz so plakativ ist das heute nicht mehr.

Doch wenn Bild und B.Z. einhellig gegen linke Politik wettern, fällt der Unterschied auf: Der Kurier hält sich auf den ersten Blick meist raus. Die Titelseite schmückt dann schon eher eine ganz andere Geschichte. Weiter hinten im Blatt kommen dafür Meinungen oder Politiker der PDS, SPD und der Grünen stärker zu Wort als bei der Westkonkurrenz. Gerade in der heißen Phase des Wahlkampfs dürfte es deutlich werden: Der Kurier ist eher eine linke Boulevardzeitung. Allerdings ohne allzu klare Positionierung an der Seite der PDS, die sehr viele seiner Leser wählen. Auch von dem Begriff „Ostalgie“ will Methner nichts hören: „Da muss man sehr vorsichtig sein, schließlich wurden den Menschen im Osten viele Jahre ihres Lebens einfach gestohlen“, sagt die gebürtige Saarländerin. Der Ausweg sind Storys über vermeintlich harmlosere Angelegenheiten: ein Streit um Anstrich oder Abriss von Plattenbauten. Für Westzeitungen ein Minithema, beim Berliner Kurier ein Dauerbrenner. Da melden sich dann auch viele Leser per Telefon oder Post. Eine wichtige Bestätigung für den Kurier, der sich als „Kämpfer an der Seite des Lesers“ versteht.

Doch das bedeutet nicht nur Aufreger oder Hilferufe.

Weil „eine Hausfrauengruppe 25 Unterschriften“ gesammelt hat und dann „auch immer mehr Fürsprecherinnen aus unserem Haus“ (Methner) kamen, wird jeden Dienstag das übliche nackte Boulevardgirl auf der letzten Seite abgelöst. Von einem gut gebauten und ebenso knapp bekleideten Mann.