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Gegen das Schlussstrichdenken

Zurückhaltende Erinnerungen, die sich jede Sentimentalität verbieten: Heike Gläser porträtiert in ihrem Dokumentarfilm „Die Präsidenten“ zwei Überlebende des Rigaer Ghettos, die heute einer Überlebendenorganisation lettischer Juden vorstehen

von INES KAPPERT

„Alle gingen auf dem Bürgersteig. Ich nicht. Ihre Blicke sind mir bis heute in Erinnerung“, erzählt Alexander Bergmann. Juden hatten im Rinnstein zu laufen. Er und Steven Springfield haben das Ghetto in Riga überlebt, wo die Nationalsozialisten Ende 1941 etwa 30.000 Juden inhaftierten. Die offizielle Zahl der später Ermordeten beläuft sich auf 27.000. Die Überlebenden gedenken jährlich des 30. November 1941, an dem 10.000 Juden in einem nahe liegenden Wald erschossen wurden.

„Nach den Reden zerstreuen wir uns schweigend“, kommentiert der 77-jährige Bergmann. Mit seinem Jugendfreund Springfield hat der ehemalige Rechtsanwalt dem deutschen Bundestag in jahrelanger Sisyphus-Arbeit eine monatliche Rente von rund 125 Euro für die nunmehr 60 Überlebenden des Ghettos abgerungen. Nachdem drei Anträge „im Sande“ verlaufen waren, half nur noch Druck aus den USA. Deshalb suchte Bergmann nach rund 50 Jahren seinen früheren, inzwischen auf Long Island lebenden Freund Springfield auf. Heute sitzen sie gemeinsam einer Überlebendenorganisation lettischer Juden vor und bemühen sich um eine Grundversorgung der oft total verarmten Menschen.

„Präsidenten“ heißt daher auch der Dokumentarfilm der Berliner Journalistin Heike Gläser über diese beiden Zeitzeugen. Gläsers erster Dokumentarfilm folgt einem schlichten Konzept: Kampf gegen ein „Schlussstrich-Denken“, indem vergessenen Überlebenden eine mediale Stimme verliehen und Geschichte lebendig gehalten werden soll. Letzteres leistet ihr Film nur bedingt. Zu wenig sorgsam sind die Interviews mit den beiden Hauptfiguren, die ihrerseits sehr vorsichtig von ihrer durch den Einmarsch der Nationalsozialisten zerstörten Jugend erzählen und sich lieber an ihre guten Zeiten mit lebenden Eltern erinnern. So erfährt man viel von Lieblingsspeisen und nur wenig von ihrer Situation im Ghetto. Andere Überlebende, Freunde oder Verwandte der „Präsidenten“ bleiben unbefragt.

Geschichte wird so über einen strikt subjektiven Biografismus gegenwärtig gemacht, historische Hintergrundinformation gibt es nicht. Das gewählte Format ist folgerichtig das der Talking Heads, unterbrochen von inszenierten Alltagsszenen, wie Kaffeekochen oder mit Freunden essen gehen.

Sehr eindruckvoll ist die emotionale Zurückhaltung der beiden Männer den eigenen Erinnerungen gegenüber, die jede Sentimentalität verbietet und in „harmlose“ Bilder von glücklicheren Tagen ausweicht. Gerade dieser Haltung wird das phantasielose Draufhalten der Kamera auf die Gesichter der Männer sowie der nicht ideenreichere Schwenk durch aktuelle Wohnverhältnisse nicht gerecht.

Es weckt die Erwartung, „das, was war“ nun mündlich nachgereicht zu bekommen. Bergmann und Springfield aber verweigern Details aus ihrer Zeit im Ghetto und belassen die Erzählungen vom Erlittenen im Schemenhaften. Die in ihrer Rede ausgelegten Köder, sie stattdessen nach ihrem aktuellen Engagement gegen die weitere Verelendung der Überlebenden zu befragen, ignoriert die Filmemacherin. Beharrlich klagt ihre Herangehensweise bildhafte Emotionen, sprich eine für sich selbst sprechende Subjektivität ein. Die Folge ist ein Film mit enormen Längen, dessen dilettantisch anmutende Umgangsweise mit den Befragten stellenweise ärgerlich macht.

„Die Präsidenten“, R: Heike Gläser; K: Volker Gläser D 2002, 87 min, am 24.8. u. 28.8., Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Platz, jeweils 19 Uhr

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