chronik

Pogrom und Prozesse

Dezember 1990: In Rostock-Lichtenhagen wird die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (Zast) Mecklenburg-Vorpommerns im „Sonnenblumenhaus“ eröffnet. Sie ist bald chronisch überfüllt.

22. August 1992: Nach verschiedenen anonymen Ankündigungen versammeln sich abends ca. 200 rechte Skins und 1.000 Anwohner vor dem Haus. Ihnen stehen 35 Polizeibeamte gegenüber. Steine und Molotowcocktails fliegen.

23. August 1992: Die Szenen vom Vortag wiederholen sich. Volksfeststimmung. Die Menge klatscht und ruft „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Die Zahl der Naziskins wächst auf 500. 400 Polizisten sind im Einsatz. Sie nehmen 60 demonstrierende Antifas fest.

24. August 1992: Die Asylsuchenden werden aus der Zast evakuiert. Im Sonnenblumenhaus bleiben 120 Vietnamesen. 800 militante Rechte und 3.000 Zuschauer sind abends versammelt, als zwei Polizeihundertschaften plötzlich abgezogen werden. Um 21:35 setzen die Angreifer das Haus in Brand. Die Feuerwehr kann, da ohne Polizeischutz, erst zwei Stunden später löschen. Die Polizeieinsatzleiter Jürgen Deckert und Siegfried Kordus sind nicht erreichbar. Die Menschen im Haus retten sich in letzter Minute.

25. August 1992: Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lothar Kupfer (CDU) bestreitet, dass die Vietnamesen in Lebensgefahr gewesen seien. Naziskins liefern sich Straßenschlachten mit Polizisten.

29. August 1992: 15.000 demonstrieren in Rostock gegen Ausländerfeindlichkeit.

Februar 1993: Kupfer muss zurücktreten. Politische Verantwortung übernimmt er nicht.

April 1993: Drei Schweriner Naziskins werden wegen ihrer Beteiligung an den Angriffen zu Bewährungs- und Freiheitsstrafen zwischen zwei und drei Jahren verurteilt. Insgesamt werden in 36 Prozessen 44 Angeklagte meist zu Bewährungs- und Jugendstrafen verurteilt.

November 1993: Der Landtags-Untersuchungsausschuss legt seinen Abschlussbericht vor. Politische Verantwortung muss niemand übernehmen, die Polizei wird kritisiert.

August 1995: Das Ermittlungsverfahren gegen Siegfried Kordus wegen fahrlässiger Brandstiftung wird eingestellt. Kordus war zum LKA-Direktor befördert und 1994 wegen einer Rotlichtaffäre abgelöst worden.

Dezember 1999: Das OLG Rostock weist die Anklage gegen Einsatzleiter Deckert wegen fahrlässiger Brandstiftung ab.

November 2001: Der letzte Prozess gegen drei Angreifer von Lichtenhagen beginnt fünf Jahre nach Anklageerhebung.

Juni 2002: Der Prozess endet mit Bewährungsstrafen wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung. H. K.