Inszenierte Themenflut

Steigende Wasser, steigende Auflagen: Wenn Zeitungen sich und den Hochwasseropfern Gutes tun, bleiben politische Fragen außen vor. Doch nicht alle Krisenorte sind so fotogen wie der Zwinger

„Später schlachten wir unser Wissen politisch aus, jetzt ist es dafür zu früh“

aus der HochwasserregionROLAND HOFWILER

Sagen Ihnen die Ortsnamen Glashütte, Gottleuba, Schlottwitz etwas? Diese Städtchen im Osterzgebirge südlich von Dresden haben eines gemeinsam: Sie ertranken im Wasser, aber die Medien haben es nicht bemerkt.

Bis heute waren außer Lokalreportern der Sächsische Zeitung und ein paar freien Mitarbeitern des MDR keine Journalisten der überregionalen Zeitungen oder Fernsehanstalten vor Ort. „Wir können nicht überall sein und wollen das auch gar nicht“, gesteht der Kollege einer bekannten Boulevard-Zeitung, der seinen Namen in der taz aber nicht genannt sehen möchte. „Es kommt allein auf das fotogene Bild an, was soll man denn aus Glashütte, Gottleuba oder Schlottwitz zeigen? Ein Dresdner Zwinger unter Wasser, das ist der Reißer.“

Zwei Wochen Flutkatastrophe und immer die gleichen Bilder, gleichen Schlagzeilen, gleichen Horrorgeschichten – in der gesamten Medienlandschaft. Bei der Sprach- und Themenauswahl sind Bild-Zeitung und Spiegel stellenweise nicht mehr von einander zu unterscheiden, die öffentlich-rechtlichen Sender stehen mit ihren „Brennpunkten“ den Sensationsberichten der Privatsender in nichts nach.

Und alle sind froh über das unverhoffte Sommerthema. „Die Auflage wird steigen“, heißt es beim Spiegel, bei Bild wird frohlockt: „Wir haben Themen für Monate.“ Kleinstsender wie n-tv sehen sich dank der Elbeflut schon wieder in der Gewinnzone; RTL hofft in der Zuschauergunst die ARD als Marktführer im TV-Nachrichtengeschäft bald ganz zu überrunden.

Und alle Medien zusammen haben ein neues Spielfeld entdeckt: An die Stelle von Berichterstattung rücken Lebenshilfe und Wohltätigkeit – Medien als Krisenmanager. Kein Fernsehsender in der Republik, keine Zeitung von Format, in der nicht zu Spenden aufgerufen würde.

Super-Illu, die populärste Illustrierte im Osten Deutschlands, kündigt in einer Sondernummer bereits an, man werde effizientere und schnellere Hilfe leisten, als es staatlichen Stellen je schaffen könnten. Die Leser werden aufgefordert, selbst zu bestimmen, wohin die Hilfslieferungen gehen sollen.

Bei Bild denkt man über eine Langzeitserie unter dem Arbeitstitel „Die gute Tat“ nach, in der regelmäßig eine mittellose Familie porträtiert werden soll – wie es ihr in den ersten Tagen nach der Katastrophe erging und Monate danach. „Deutsche helfen Deutsche“ dürfte die Rubrik dann heißen, „menschlich“ niedergeschrieben, mit einem leichten Touch an Gefühl und Patriotismus. Um sich bei den Wohltätigkeitsprojekten nicht gegenseitig in die Quere zu kommen, haben sich die Medienkonzerne bereits grob abgesprochen, welche Katastrophenorte welche Redaktion „betreuen“ wird.

Und auch mit der Politik hat man sich arrangiert. Da Katastrophen nun einmal Katastrophen seien, bleibt die „große Politik“ außen vor: Nur Hilfsbereitschaft und Opfermut sind gefragt. Die Inszenierungen dafür flimmern täglich über die Bildschirme: Ministerpräsidenten, Parteigrößen und Bürgermeister dürfen sich als Aufbauhelfer und Krisenbewältiger feiern lassen, mit hochgekrempelten Hemdsärmeln auf Deichen, umgeben von freiwilligen Helfern und Bundeswehreinheiten. Die anwesenden Reporter stellen keine unangenehmen Fragen, melden keine Zweifel an den Sandsackeinsätzen an, ziehen niemanden zur Verantwortung für einen Dammbruch oder eine Polder-Flutung. Ungebändigte Naturgewalten erlauben keine Kritik, und auch der Wahlkampf bleibt weitmöglichst außen vor.

Doch die Fernsehbilder täuschen. Schon das beliebteste Motiv der Deichabsicherung durch freiwillige Helfer, die Sandsack für Sandsack heranschleppen, unterstützt von Bundeswehrsoldaten, entspricht in zahlreichen Regionen nicht der Realität. Nur an neuralgischen Punkten ist die Armee im Einsatz, meist kämpfen Feuerwehreinheiten und freiwillige Helfer allein gegen die Wassermassen an. Diese Hilfstrupps versuchen die Wassermassen eher mit Spundwänden und neuen Mauern zu regulieren – Bilder, die weniger fotogen und dramatisch wirken als die Hand-zu-Hand-Reichung von Säcken und Beuteln voller Sand.

Einige offene Fragen bleiben von der Presse vorerst völlig ausgeblendet: Wer gab etwa in Dresden den Befehl, den Zwinger aufzugeben, obwohl die Feuerwehrverbände sich dagegen sträubten? Warum fiel das Funknetz der Einsatzkräfte in sich zusammen, konnte eine Notstromversorgung im Osterzgebirge nicht aufrechterhalten werden? Journalisten, die von Anfang an die Elbeflut verfolgten, wundern sich über manch unsinnige Entscheidung der Behörden und Regierungsstellen, wagen es aber nicht, ihre Zweifel aufzuschreiben. Ein Skandal, der schon bis zur EU-Kommission nach Brüssel gelangte, findet hierzulande gar keine Erwähnung: Eigentlich war die Bundesregierung verpflichtet, das neue digitale „Funksystem für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (BOS) bereits in diesem Jahr funktionsfähig zu haben. In Sachsen zeigte sich jetzt, dass das Funksystem noch gar nicht flächendeckend funktioniert, die neuen Bundesländer einfach vergessen wurden. Doch aus der Chefredaktion einer Boulevard-Zeitung ist zu hören: „Erst mal Stimmungsbilder, später schlachten wir unser Wissen politisch aus, jetzt ist es dafür zu früh.“

So bleiben Glashütte, Gottleuba, Schlottwitz erst einmal vergessen. Vergessen von den Politikern, die sich vor Ort nicht zeigen, vergessen von der Bundeswehr, vergessen von Journalisten. Zehntausende, die in diesen Städten leben, hausen nun in Notunterkünften in Dresden und Leipzig, – ihre Geschichten bleiben unerzählt.