Phantom der Krise

Musical-Kongress: Am Wochenende beraten Experten in Hamburg über Auswege aus der finanziellen und kreativen Misere, die angeblich keine ist

„Wir müssen uns daran gewöhnen, was anderswo normal ist: Die Regel sind Flops“

von SANDRA WILSDORF

In der Musicalbranche macht sich die Erkenntnis breit, dass das Publikum kommt, „wenn die Qualität die Anreise lohnt“, sagt Wolfgang Jansen, Vorsitzender der Gesellschaft für unterhaltende Bühnenkunst. Der Fachverband mit Sitz in Hamburg veranstaltet von Freitag bis Montag zum vierten Mal einen internationalen Musical-Kongress. Und dabei wird es auch um die Frage nach der Qualität gehen: „1991 glaubte noch jeder, er könnte ein Stück aufführen, es Musical nennen, und die Menschen würden kommen“, sagt Jansen. Sie kamen auch. Inzwischen aber sind die Zuschauer anspruchsvoller geworden. Jansen hält die Krise, die Stella in die Pleite getrieben hat, nicht für eine Krise des Musicals. „Ich sehe nicht, dass sich an der Beliebtheit des Musicals an sich etwas geändert hat.“ Denn auch in den öffentlich geförderten Bühnen gehörten Musicals zu den beliebtesten Produktionen. Jansen glaubt vielmehr: „Deutschland hat sich in den vergangenen 15 Jahren von einem Land des Sprechtheater zu einem Land des Musiktheaters gewandelt.“ Mittlerweile gingen weitaus mehr Menschen ins Theater, wenn es da auch Musik gebe.

Und so scheint das Problem eher eine kreative Flaute zu sein: „Dass Musicals zehn Jahre lang ausverkauft sind, ist die Ausnahme, eine Weile haben wir das für normal gehalten“, sagt Jansen. „Wir müssen uns an das gewöhnen, was in den USA und London längst normal ist“, dass nämlich 50 Prozent der Investitionen in neue Stücke nicht zurückfließen, weil sie nicht erfolgreich seien. „Die Regel sind Flops.“

Dass es nicht mehr reicht, dieselben drei bis vier Musicals um die Welt reisen zu lassen, berichtet auch der englische Komponist und Texter Alexander Bermange: „Lange war London die Musicalhaupstadt der Welt, aber zur Zeit ist das einzige wirklich neue Musical des Jahres eine französische Produktion.“ Ansonsten würden die Musicaltheater massenweise Shows mit Liedern der 60er und 70er aufführen. „Deshalb müsen wir zusammenkommen und lernen neue Musicals zu entwickeln.“

Auch Professor Hermann Rauhe, Präsident der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, hält es für wichtig, dass Musical-Komponisten und Texter professionell ausgebildet werden, „bisher waren das immer Autodidakten“. Er träumt von Kursen in den Semesterferien, „mit Top-Leuten“.

Dass Hamburg noch immer Deutschlands Musicalhauptstadt ist, daran gibt es für Jansen keinen Zweifel: „Diese Ballung von Kompetenz und Kreativität findet man sonst nirgends.“ Drei große Musicaltheater, vier mittelgroße sowie drei Schulen: „Das ist ein Mekka.“ Natürlich habe es Bemühungen gegeben, das ins Ruhrgebiet oder nach Berlin zu verlagern, „aber die Szene lässt sich nicht umsiedeln.“

Bei dem Kongress am Wochenende gibt es im Curiohaus Podiumsdiskussionen zu Themen wie „Europa – einig Musicalmarkt?“, zur Autorenförderung und den Problemen öffentlich finanzierter Theater, auch Musicals als Teil ihres Kulturauftrages zu verstehen. Jeweils Sonnabend und Sonntagabend werden im Forum der Hochschule für Musik und Theater „Works in Progress“ präsentiert, Arbeiten, die noch im Entstehen sind. Darüber hinaus gibt es eine „Musicalmesse“, bei der sich neben Londoner Theatern, der Staatsoperette Dresden auch „Seelive Tivoli“ präsentiert, eine Kooperation zwischen Seetours und dem Schmidts Tivoli.

Kongress von Freitag-Montag. Alle Infos unter www.musicalkongress.de oder 040-36 80 19 60