village voice
: Zweite deutsche Welle: Mit „Hieb und Stichfest“ liefern Mia das Album zum Hype

Die Revolution im Kinderzimmer

Mia also. Mia ist die Band zur Stunde und mehr: die beste Band aus Berlin, die bald bekannteste Band aus Berlin, der ultimative Berlin-Hype, der Berlin jetzt ultimativ auch nach Tauberbischofsheim und Wismar bringt. Nicht Jeans Team, Mina, Peaches, Quarks, Ragazzi oder Stereo Total kommen dieser Tage und wahrscheinlich auch später mit Pop aus Berlin über Deutschland, sondern Mia. Ja, selbst der Hype-erprobte Gonzales ist gegen Mia eine kleine Wurst. Mia aber sind noch mehr: der ultimative Pop. Sie machen nicht nur Musik, sondern sie liefern die Verpackung und den Lifestyle gleich mit. Sie sind die ultimativen Achtzigerjahre in den ultimativen Nullerjahren, die zweite deutsche Welle, die Rückkehr von Punk, die Rückkehr der Jugend in Zeiten, in denen Jugend nicht gerade Konjunktur hat. Und: Mia wissen, dass die lautesten Schreihälse die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das war schon immer so und erst recht bei den Manic Street Prechers, die sich seinerzeit mit einem echten Messer ein echtes „For Real“ in den Arm ritzten! Bei Mia reicht ein echtes Liebesliedchen, das man auch als Unzufriedenheit mit den Verhältnissen, als selbstbewusste Aufforderung zum Aufruhr missverstehen kann: „Du weißt, es wird passieren, die Bombe explodiert, vielleicht wirst du kapieren, alles wird wie neu sein.“

Nun haben Mia und ihre Plattenfirma sich Zeit gelassen mit der Veröffentlichung des zum Sommerhit „Alles wird neu“ gehörigen Albums. Da stellte sich in den langen Monaten die bange Frage: Hält der Hype so lange? Ist es das jetzt wirklich? Kommen die Achtzigerjahre mitsamt ihren Limahl-Frisuren und den weißen Zottenstiefelchen doch noch aus dem Bezirk Mitte raus und in den Rest der Republik? Und sind Mia jetzt wirklich die neuen Ideal? Hört man „Hieb & Stichfest“, würde man vor allem die Mia-Sängerin und Haupthypeverantwortliche mit dem schönen Kunstnamen M. Mieze gern noch irgendwo zwischen Nina Hagen, den Cranberries und Sandra verorten. Klingt gut, wie sie singt, klingt eigen, klingt miez und piez, und hin und wieder auch wie „die coole Katze, die mit ihrer Tatze kratzt“. (au ja!) Die Mia-Songs sind allesamt hübsche kleine Stimmungsliedchen, die nach vorn und selten in die Tiefe gehen; die mal gediegen laut und manchmal auch leise sind, oft rührend erdig und dann wieder wie reißfester Plastik. Sie haben von allem ein bisschen: Gitarren und Synthies, Melodien und diese vermeintlich erschreckende Stimme. Aber Punk? Oder New Wave? Höchstens Punk und New Wave, wie ihn sich 20- bis 25-Jährige heute so vorstellen. Dazu passt die bemühte „Du kannst es schaffen, du musst es nur wollen“-Rhetorik von Mieze Mia und ihren ansonsten sehr blassen Mannen: Sie covern David Bowies „Heroes“, singen „Alles, was ich will, ist alles, was ich kriegen kann“ (was ja auch wieder sehr traurig ist), und betonen: ich und kein anderer, wir und niemand sonst. Das ist dann ganz der Sound jener Ego-Taktiker, wie sie die Shell-Studie gezeichnet hat. Geradezu rührend mutet es dann an, wenn Mia suggerieren, dass sie Grenzen überschreiten und alles aus ihnen rauswill. Ja, wenn sie mal den Aufstand proben und singen: „Ich höre Wut auf allen Seiten, ich will, dass sich die Lager spalten.“ Das ist dann die ultimative Revolution im Kinderzimmer. GERRIT BARTELS

Mia: „Hieb & Stichfest“ (Col./Sony)