Schwarz-Gelb fehlt der Sinn

Ludwig Erhards soziale Marktwirtschaft muss ein sozialökologisches Projekt werden. Doch die Union und Edmund Stoiber sind umweltpolitisch blind und taub

Die Bergpredigt in ihrer ökologischen Dimension ist keinbayrischer Heimatroman

Ohne einen konstruktiven Beitrag der konservativen US-Regierung droht der Weltgipfel in Johannesburg ein Maulwurfshügel zu werden. In dieser Situation sind die Wertkonservativen, auch in Deutschland, besonders gefragt. Doch statt einer zündenden Idee, wie George W. Bush ins Klimaboot zu holen ist, herrscht bei Edmund Stoiber in dieser Frage Funkstille.

Alle paar Jahre ein „Jahrhunderthochwasser“, Gletscher schmelzen, Wüsten breiten sich aus, das Klima wird aufgeheizt – wir verbrennen die Zukunft unserer Kinder. Täglich sterben 100 Arten aus. Doch die konservative Umweltpolitik bleibt eine unverantwortliche Leerstelle. Wir kennen längst die Lösungen der Probleme, aber die Union klammert sie einfach aus. Es fehlt nicht an Visionen oder Technologien, es fehlt ihr politischer Wille. Dabei wissen wir: Umweltpolitik ist vorbeugende Friedenspolitik. Und spätestens seit dem 11. September ist klar: Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne wird die alles entscheidende politische Frage des 21. Jahrhunderts.

Zu Recht fragt Edmund Stoiber im Wahlkampf gelegentlich, wo das Soziale der SPD geblieben sei. Wo aber ist das „C“ im Namen von CDU und CSU geblieben? Die ökologische Krise wurde zur zivilisatorischen Existenzkrise. Diese neue Basis aller Politik aber findet sich weder im Wahlprogramm der Union noch in den Reden ihrer Politiker.

In den Grundsatzprogrammen von CDU und CSU wird die Ökosteuer noch gefordert. Denn tief im letzten Jahrhundert hatten die Konservativen erkannt: Arbeit müsse in Deutschland preiswerter und Energie sowie jede Art der Umweltbelastung teurer werden. Das sei sozial und ökologisch geboten. Nur so sei die „Bewahrung der Schöpfung“ möglich. Politisch könne mit der Ökosteuer gesteuert werden – aus „Verantwortung für künftige Generationen“.

Heute, in der Endphase des Wahlkampfes, ist diese kluge Erkenntnis vergessen oder verdrängt. Beinahe unumstritten ist heute auch unter Rot und Grün, dass die bisherige Ökosteuer intelligenter zugunsten der Ökologie organisiert werden kann. Für die größten Umweltsünder gar keine Drecksteuer zu erheben, war wohl der Geburtsfehler der Ökosteuer. Und Rot-Grün hat in Brüssel nur halbherzig für eine europaweite Flugbenzin- und Schiffssteuer geworben. Darüber haben sich zu Recht auch konservative Autofahrer, die Jahr für Jahr mehr Ökosteuer zahlen mussten, geärgert.

Nur: Deshalb die rot-grüne Ökosteuer als „K.o.-Steuer“ zu diffamieren – wie es Angela Merkel getan hat –, bleibt politisch skandalös. Vor allem, weil sie sich 1995 zu einer ökologischen Steuerreform bekannt hatte. Damit sich die politische Sinnhaftigkeit eines schwarz-gelben Projektes erschließt, muss die Union ihre positiven umweltpolitischen Ansätze wieder entdecken. Wie und mit wem will Edmund Stoiber Ludwig Erhards soziale Marktwirtschaft in eine moderne sozialökologische Marktwirtschaft fortführen? Soziale Marktwirtschaft war 1949 ein überzeugendes Projekt voller Sinn und späterem Erfolg. Sogar vorbildlich für die ganze Welt.

Heute ist die ökologische Komponente die Basis einer wirklichen Renaissance der Marktwirtschaft als Gegenmodell zum „Raubtier“-Kapitalismus der USA. Dieses immer häufiger gebrauchte Wort ist übrigens eine Beleidigung von Raubtieren. Denn diese sind irgendwann satt und friedlich. Manche US-Kapitalisten aber benehmen sich selbst nach ihrer Sättigung noch kriminell. Und George W. Bush gibt ihnen ständig weiter Futter – ohne jede soziale oder ökologische Sensibilität.

Edmund Stoiber tut das im sozialen Bereich nicht. Im Ökologischen aber unterscheidet er sich nur wenig vom US-Präsidenten. Die alte pyromanische Energiepolitik mit Kohle, Gas und Öl sowie die unverantwortliche Atompolitik sollen weitergeführt werden. Erneuerbare Energien bleiben zweitrangig. Das fortschrittliche erneuerbare Energiengesetz wird in Frage gestellt. Seit dem Umzug des ehemaligen konservativen Umweltministers Klaus Töpfer von Berlin zur UNO-Umweltbehörde nach Nairobi ist die Union ökologisch blind und taub geworden.

Dabei müsste eine kluge Opposition auf der Höhe der Zeit Rot-Grün fragen: Wo bleibt nach dem 100.000-Solardächer-Programm das Eine-Million-Dächer-Programm? Wann endlich werden die erneuerbaren Energien oder der öffentliche Verkehr von der Ökosteuer befreit? Warum nur 20 Prozent Agrarwende und nicht 100 Prozent? (Was wäre wohl aus der Marktwirtschaft geworden, wenn Ludwig Erhard vorgeschlagen hätte, wir machen 20 Prozent soziale Marktwirtschaft?) Wo bleibt die versprochene ökologische Verkehrswende? Wenn schon wenige Prozent erneuerbare Energien 130.000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben, warum werden dann die langfristigen Chancen für Millionen neue Arbeitsplätze durch die komplette solare Energiewende, ökologische Verkehrswende, biologische Landwirtschaft, ökologische Wasserwende und ökologische Bauwende, die alle kommen müssen, nicht beherzter ergriffen? Warum folgt dem klassischen Wirtschaftswunder nicht bald das ökologische Wirtschaftswunder mit spürbaren Entlastungen für die Umwelt und den Arbeitsmarkt? Warum erinnert sich Edmund Stoiber nicht an die Devise seines Parteikollegen Klaus Töpfer, „Umweltschutz ist kein Arbeitsplatzkiller, sondern der Arbeitsplatzknüller im 21. Jahrhundert“?

Doch Umweltpolitik ist für den bayerischen Ministerpräsidenten nur Nebensache. Es ist leicht aufzuzeigen, dass in Bayern Wirtschaftsinteressen den Umweltschutz grundsätzlich dominieren: Im Kompetenzteam hat Stoiber den Umweltschutz einfach vergessen. Aus Wackersdorf ist die CSU erst ausgestiegen, als die Wirtschaft den Atomstandort längst fallen gelassen hatte. Ökosteuer wollte Stoiber auch gestern, heute aber nicht mehr. Der Bund überdenkt jetzt nach dem Hochwasser endlich den Ausbau der Elbe. Doch die bayerische Landesregierung scheut sich, klipp und klar zu sagen: „Die letzten Donau-Auen zwischen Straubing und Vilshofen bleiben.“ Dort drohen dem wichtigen Fluss seine letzten natürlichen Rückzugsgebiete genommen zu werden. Der CSU-General Thomas Goppel wollte einst ein Dosenpfand – Edmund Stoiber hat ihn verhindert.

Im Ökologischenunterscheidet sichEdmund Stoiber nur wenig vom US-Präsidenten

Noch liegt die Union in Umfragen vorne. Sie hat also die Chance, die Wahl am 22. September zu gewinnen. Langfristig aber gewinnt sie nur durch Glaubwürdigkeit. Ohne ihre wertkonservative Ader ist ihre Politik nicht wirklich zukunftsfähig. Die ökologische Weltkrise verlangt vom Regierungschef des westeuropäischen Landes mit den meisten Einwohnern mutige Überlebensantworten.

CDU und CSU müssen verinnerlichen, dass die Bergpredigt in ihren sozialen, ökologischen und pazifistischen Dimensionen kein bayrischer Heimatroman ist. Sie müssen damit rechnen, dass Millionen Wahlentscheidungen nach dem Motto getroffen werden: Wer die Umwelt quält, wird nicht gewählt.

FRANZ ALT