„Wir steuern um“

CDU-Jugendpolitikerin Bettina Pawlowski im Interview: Hilfen zur Erziehung werden künftig nicht mehr am Anfang stehen

„Ich gehe davon aus, dass wir geschlossene Unterbringung kaum brauchen werden“

von KAIJA KUTTER

taz: Es gibt Probleme, die vom Senat geplanten 90 Plätze in geschlossener Unterbringung zu finanzieren. Es ist zu befürchten, dass dies auf Kosten der Hilfen zur Erziehung (HZE) geschieht.

Bettina Pawlowski: Wer sagt das? Im Haushaltsentwurf für 2003 steht kein Wort darüber.

Das steht im Heim-Konzept.

Wir haben die Senatsvertreter in der Vorwoche im Jugendausschuss gefragt. Da wurde noch keine abschließende Finanzierung vorgestellt.

Dennoch soll es ja auch in der heutigen Sitzung des Jugendausschusses wieder eine Debatte um den HZE-Etat geben. Denn zusätzlich zu den besagten neuen Heim-Kosten gibt es bereits ein Defizit von 4 Millionen Euro. Und dann wollen Sie nun auch 6 Prozent der HZE-Mittel in die offene Kinder- und Jugendarbeit umschichten. Bricht HZE dann zusammen?

Nein. Die Umschichtung geht zurück auf unser Ersuchen der Bürgerschaft. Wir wollen damit nicht sparen, sondern die Jugendhilfe neu strukturieren. Weg von der Einzelfallhilfe, hin zur infrastrukturellen Hilfe. Es kann zum Beispiel nicht angehen, dass schwierige Kinder aus einer Kita rausgenommen werden und in eine HZE-Tagesgruppe kommen, wo sie nicht mehr ihr gewohntes Umfeld haben. Stattdessen müsste die Kita mit einer Fachkraft so gestützt werden, dass dies Kind dort bleiben kann. Nehmen wir das Beispiel Schularbeitenhilfe. Wenn dies über HZE läuft, ist es sehr teuer und erreicht nur wenige. Auch muss für jedes Kind, dass daran teilnimmt, eine Erziehungskonferenz abgehalten werden. Es wird zum Fall mit Akte. Wir wollen dagegen niedrigschwellige Angebote in Häusern der Jugend und Familienzentren ausbauen.

Es gibt die offenen Angebote bereits. Warum ist da eine Umsteuerung nötig?

Es gibt sie, aber in viel zu geringem Maße. Während der HZE-Etat in den letzten Jahren kontinuierlich angewachsen ist, ist der Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit konstant auf niedrigem Niveau geblieben. Gleichzeitig sind beide Bereiche starr getrennt voneinander, man spricht hier von Versäulung. Und dort, wo wir bereits versucht haben, dies aufzubrechen, mit dem Schnittstellenprojekt in Burgwedel beispielsweise, hat sich gezeigt, dass der Anteil der HZE massiv zurückgegangen ist.

Nun sagen Kritiker, dass dies so bilderbuchartig nicht funktioniert und die offenen Angebote die schweren Problemfälle nicht erreichen. Die Wohlfahrtsverbände sprechen von 500 Kindern und Familien, darunter auch traumatisierten Opfern von physischer und psychischer Gewalt, die im nächsten Jahr nicht mehr versorgt werden können.

Gleichzeitig kriege ich seit neuestem Konzepte von HZE-Trägern vorgelegt, die offene Angebote machen wollen. Das zeigt, dass sie unseren Ansatz nicht so schlecht finden. Um es klar zu sagen: Wir wollen hier nicht sparen und solche Problemfälle, wie Sie sie skizziert haben, werden auch zukünftig über diesen Bereich die erforderliche Hilfestellung erhalten. Wir wollen HZE nicht abschaffen. Es soll nur am Ende der Hilfsangebote stehen und nicht wie derzeit am Anfang. Wir wollen für eine kleinräumige soziale Infrastruktur sorgen, wo Kinder, die Opfer von Gewalt werden schon frühzeitig Hilfe finden. Auch wollen wir die Abrechnung per teuerer Fachleistungsstunde abschaffen. Da Schularbeitenhilfe in den offenen Jugendeinrichtungen kostengünstig angeboten wird, halten wir eine überteuerte Maßnahme über den HZE-Bereich für nicht sinnvoll.

Sie fordern eine Umsteuerung von 6 Prozent in die offene Arbeit. Ein erstes Konzept aus der Jugendbehörde spricht nun nur noch von einem „kleineren Betrag“. Wurde ihr Antrag bereits verwässert?

Ich gehe davon aus, dass das bürgerschaftliche Ersuchen umgesetzt wird.

Wie stehen Sie als Fachpolitikerin zur geschlossenen Unterbringung, die sich ja als Drohkulisse auf die gesamte Jugendhilfe auswirken wird?

Ich gehe davon aus, dass unser Konzept der niedrigschwelligen Hilfsangebote stark präventiv wirkt und wir die geschlossene Unterbringung kaum brauchen werden, lediglich für wenige nicht erreichbare Jugendliche.