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Berauscht von Samarkand

Kultursenator Kuno Böse erkundet derzeit, ob Samarkand in Usbekistan Bremens Partnerstadt werden könnte. Belehren will er die Usbeken nicht, aber der hier nach wie vor praktizierten „Kommandowirtschaft“ der Sowjets will er auch nicht helfen

150 Jahre russischer Kolonisierung und elf Jahre staatlicher UnabhängigkeitBrücke zur Seidenstraße: Drogen, Baumwolle und Kulturaustausch

Von Peter Böhm, Taschkent

Mit dem Kulturaustausch ist das so eine Sache. Man soll etwas geben, aber natürlich auch etwas bekommen, was man oft nicht kennt, nicht versteht und möglicherweise gar nicht mag. Kulturaustausch war auf jeden Fall das Ziel der Bremer Delegation, die dieser Tage für eine Woche in Usbekistan ist. Innen-, Kultur- und Sport-Senator Kuno Böse (CDU), Staatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU), einige ihrer Mitarbeiter sowie Vertreter dreier Bremer Firmen, die mit Baumwolle handeln, tourten über das Land, machten die Runde bei den einheimischen Politikern und sondierten das Terrain, ob Samarkand, der berühmte Knotenpunkt der alten Seidenstraße, nicht Bremer Partnerstadt werden kann.

Überall, wo die Delegation auftrat, wiederholte sie wie ein Mantra: „Wir glauben, dass es keine dauerhaften wirtschaftlichen Beziehungen ohne kulturelle Verbindungen geben kann und ebenso keine kulturellen ohne wirtschaftliche.“ Immerhin kommt heute 40 Prozent der Baumwolle, die an der Bremer Baumwollbörse gehandelt wird, aus Usbekistan. Das Land ist also ein wichtiger Wirtschaftspartner für Bremen. Und nun soll die Kultur der Baumwolle folgen.

Senator Böse rauben Abschiebungen von Asylbewerbern nach Zentralasien ganz sicher nicht den Schlaf in Usbekistan, denn hier ist er in erster Linie der Kulturbotschafter, wie man ihn sich vorstellt. In den achtziger Jahren hat er in mehreren Urlauben den chinesischen Teil der alten Seidenstraße bereist, und als ihn jemand auf dem Empfang der deutschen Botschaft in Taschkent fragt, wie ihm Samarkand gefallen hat, strahlt er über das ganze Gesicht und sagt: „Das war so toll. Ich war richtig high, so als hätte ich die gesamten Drogen der Region genommen.“ Und das sind, wie man weiß, eine ganze Menge.

Als ihm bei einer Pressekonferenz ein usbekischer Journalist ironisch dazu gratuliert, dass er die zwei grundverschiedenen Bereiche Inneres und Kultur so gut zusammenbekomme, kontert er: „Ich fasse es auch nicht!“ Und hat die Lacher auf seiner Seite. Von usbekischer Seite jedenfalls fühlt sich Böse überall herzlich aufgenommen und preist mächtig die Bremer Kultureinrichtungen an, so als gebe es sie in dieser Form einzig und allein nur dort in Deutschland.

Aber beim Treffen mit dem deutschen Wirtschaftsclub in Taschkent kommt es auf einmal fast zum Eklat. Ein Experte der staatlichen deutschen Entwicklungshilfeorganisation GTZ fasst knapp und kompetent die Bedingungen des Baumwollanbaus in Usbekistan zusammen:

Die Regierung zwingt die Bauern, den Rohstoff jährlich auf einer vorgegebenen Fläche anzubauen und zahlt ihnen dafür einen Preis, der weit unter den Produktionskosten liegt. Durch den Export der Baumwolle bekommt die Regierung die lebensnotwendigen Devisen, aber die Landbevölkerung verarmt immer mehr. In den sieben Jahren seiner Arbeit in Usbekistan, sagt der Experte weiter, arbeite er jetzt mit dem neunten Landwirtschaftsminister zusammen, und die Regierung habe einfach kein Konzept zur wirtschaftlichen Entwicklung ihres Landes.

Die Bremer Delegation ist schockiert. Wie so oft, wenn jemand in ein Entwicklungsland kommt und herausfinden muss, dass die politisch Verantwortlichen nicht immer nur das Interesse ihrer Bevölkerung im Auge haben. Aber sie gibt nicht auf, und so umgibt die Diskussion bald ein Hauch von Soli-Gruppe und Räucherstäbchen. „Ich finde es arrogant ohne Ende“, sagt Senator Böse, „wenn ein Deutscher nach 150 Jahre russischer Kolonisierung und erst elf Jahren staatlicher Unabhängigkeit hergeht und Usbekistan sagen will, was es zu tun hat.“ Es gehe viel mehr darum, den Leuten hier zu helfen. Aufs Stichwort fallen ihm die afrikanischen Befreiungsbewegungen ein und was die Kolonialmächte im Kongo angerichtet haben.

Aber plötzlich dräut Böse noch etwas anderes. Dass Usbekistan nämlich getreu seines sowjetischen Erbes eine „Kommandowirtschaft“ behalten hat. „Ich muss zugeben, das habe ich nicht gewusst, bevor ich hierher kam.“ Nun sieht er Schlagzeilen mit dem Wortlaut „Bremen hilft Sowjetimperialismus“ auf sich zukommen. Das geht ihm dann doch zu weit. „Mit unserem Kulturaustausch stabilisieren wir ja nur das System“, wirft er in die Runde. „Ich muss sagen, dass sie unsere Arbeit ad absurdum geführt haben. Da kann ich heute abfliegen.“

Natürlich wird die Bremische Bürgerschaft das letzte Wort haben, ob Samarkand Bremens Partnerstadt werden wird oder man besser auf diesen Kontakt verzichten möchte. Aber Senator Böses Empfehlung wird Gewicht haben, und deshalb muss Samarkand nun wohl hoffen, dass er heute in Buchara, der zweiten großen usbekischen Touristenattraktion, wieder „high“ wird. Sonst stehen die Chancen schlecht. Tja, das ist eben so eine Sache mit dem Kulturaustausch.

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