robin alexander über Schicksal
: Melonenbefruchter am Roten Meer

Zu Zeiten von Oslo halfen europäische Touristen isrealischen Siedlern im Kampf gegen Bienenmangel. Ein Bericht

Eine Reise nach Israel. War das eine gute Idee, von meinem Freund Markus, der personifizierten Antithese von „Geschichtsvergessenheit“? Ein junger Student der Geschichtswissenschaft, Schwerpunkt deutsche Verbrechen in Osteuropa, der Praktika und Forschungszeit in russischen Archiven verbringt, Goldhagen und Finkelstein liest und sich über Fernsehsendungen von Guido Knopp schwarz ärgert …

Anders als heute herrschte damals, kurz nach dem Oslo-Friedensabkommen, im Nahen Osten kein Krieg. Aber als Markus erzählte, er wolle „zur Entspannung“ nach Israel fliegen, machte ich mir dennoch zuerst ein paar Sorgen. Dann flog ich mit.

Meine Sorge war unbegründet: Die Israelis hatten damals – kurz nach dem Friedensabkommen von Oslo – anderes zu tun, als sich mit Vergangenheit auseinander zu setzen: Wir unterteilten grob in Politisierte (die selbst in Fußball, Kochen, Popmusik einen Bezug zum Konflikt mit den Arabern fanden) und Amerikanisierte (die so taten, als lebten sie an der Westküste der USA).

Historisierte trafen wir auch: Die Verbrechen der Nationalsozialisten sind in Israel tatsächlich präsent – in den Köpfen deutscher Besucher. Deutsche Israelreisende drängen sich gegenseitig und jedem, der nicht schnell genug weg ist, ihre Betroffenheit über den Mord an den europäischen Juden auf. Ein seltsames Verhalten: Wer sich wirklich für Menschheitsverbrechen interessiert, der wäre doch im Land der Täter, in München, Berlin und Castrop-Rauxel besser aufgehoben als in Tel Aviv. Ein ebensolcher Fluch wie Geschichtsbewusstsein am falschen Ort ist die maßlose politische Identifikation. Auch davon waren Deutsche überdurchschnittlich befallen: Alle über 35 Jahre schienen mit Davidstern-Käppis in arabischen Städten herumzulaufen, alle unter 35 Jahren trugen Palästinensertücher durch die nahöstliche Hitze. Dabei waren Europäer eigentlich eher wegen ihrer weltanschaulichen Neutralität gefragt.

Zum Beispiel als Arbeitskräfte: Zwei junge Holländer unterhielten in einer Kneipe sich und die internationalen Gäste mit dem wie ein Mantra wieder und wieder repetierten kurzen Gespräch:

– Hey, what did you do today?

– I fucked flowers. And you?

– Me too.

Dieser Dialog ist ein wenig absonderlich, sein Hintergrund nicht weniger. Diesen beiden Reisenden war das Geld ausgegangen im Ort Eilat am Golf von Aqaba, besser bekannt als Rotes Meer. Dies ist Israels einziger Zugang zum Gewässer, das sich vor Mose einst teilte und die Streitwagen des Pharaos begrub. Eilat ist heute ein Badeort, es gibt teuren Tourismus und sonst nur die Negev-Wüste – also nichts.

Jetzt wird es kompliziert: Die israelischen Siedler pflegen die Idee, Land gehöre ihnen, wenn sie es urbar gemacht haben. Diese Vorstellung der Aneignung von Boden durch Arbeit entstand während der Erschließung des amerikanischen Westens Ende des 19. Jahrhunderts. Und tatsächlich stammt ein nicht geringer Teil der radikalen jüdischen Siedler aus den USA.

Dummerweise wächst am Roten Meer nicht das saftige Grün der nordamerikanischen Prärie, sondern – nichts. Besser gesagt: fast nichts. Den ideologischen Siedlern gelang nämlich die Anpflanzung von Melonen. Für eine erfolgreiche Melonenkultur braucht man allerdings noch etwas, was es in der Wüste nicht gibt: Bienen.

Da es im isolierten Eilat nun keine üblicherweise als billige Arbeitskräfte verwendeten russischen Einwanderer gibt und radikale Siedler keine Araber beschäftigten, heuerten sie die abgebrannten Holländer an. Tagelang, so erzählten diese jedenfalls äußerst authentisch, befruchteten sie Melonen. Mit der Hand. Frucht für Frucht. I fucked flowers. Me too.

Die beiden Holländer haben wir später noch einmal in Jerusalem getroffen. Sie hatten wieder eine gute Geschichte. Ob wir in diesem Land der Extremisten den Extremsten kennen lernen wollen? Einen Mann, der Hass säe und Krieg wünsche. Sie zeigten uns ein Haus, das sich wie eine Brücke über eine Hauptstraße der arabischen Altstadt spannt. Schwer Bewaffnete standen davor Wache: Über dem Weg, den tausende Palästinenser täglich gehen müssen, hing eine meterlange Davidstern-Fahne.

„Ein verrückter Rechtsaußen aus der Knesset hat die Wohnung über Mittelsmänner und Helfershelfer erworben – nur um die Araber zu provozieren.“ Er muss ein Vermögen bezahlt haben. Während wir uns lachend abwenden, hat mein Freund Markus noch gefragt: „Wie heißt er denn?“ – „Scharon. Ariel Scharon.“

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