Welche Gemütlichkeit?

Usbekistan – ein Land zwischen Sowjeterbe, Despotie, Marktwirtschaft und Re-Islamisierung. Schwierige, spannende Zeiten für den usbekischen Verband der Unternehmerinnen

aus Taschkent ADRIENNE WOLTERSDORF

„Die Familie ist die Grundlage der Gesellschaft. Hier werden Heimatliebe und Staatsangehörigkeitsgefühl anerzogen. Darum ist es sehr wichtig, Mütter in ihrer Sorge um die Familie, deren Wohlstand und deren Gemütlichkeit zu unterstützen“, heißt es in einem offiziellen Dokument der usbekischen Regierung zur Frauenpolitik.

„Welche Mütter? Welche Gemütlichkeit?“, fragt sich Marinika manchmal, seit sie von ihrer Schwiegermutter gelegentlich eins drauf kriegt. Zum Eklat kam es, als die junge Frau, Absolventin der Taschkenter Universität, verheiratet, ein Kind, ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollte. Über ihre Mitarbeit in einer Frauenorganisation hatte Marinika die Chance, sich ein halbes Jahr lang in Deutschland fortbilden zu können. Ihr Ehemann war nicht begeistert. Nachts kam es zu heftigem Streit. Marinika verlor die Beherrschung und schnauzte ihren Mann lautstark an.

Am nächsten Morgen marschierte der Schwiegervater zum Einwohnermeldeamt und ließ Marinika aus dem gemeinsamen Haushalt austragen. Ohne Adresse konnte die junge Frau kein Visum mehr beantragen. Und damit die Botschaft auch nachhaltig ankommt, gibt’s jetzt manchmal von der Schwiegermutter was hinter die Ohren, vorbeugend gegen zu viel Selbstständigkeit, sozusagen.

„Auf die Mädchen setze ich meine Hoffnung“, sagt Dildar Alimbekowa, die 48-jährige Gründerin und Vorsitzende der „Business Women’s Association of Uzbekistan“. Ihre seit elf Jahren existierende Vereinigung nennt sie die „einzig wirklich unabhängige Organisation in diesem Land“. Der Weg zu der für ihre Aufmüpfigkeit landesweit bekannten Unternehmerin geht durch einen Frisörsalon. Im Hinterzimmer eines Plattenbaus mitten in der Taschkenter Innenstadt suchen zahllose Frauen Rat und Ideen. Vergilbte Tapeten rollen sich von den Wänden, das Mobiliar ist ärmlich. Aber das Telefon klingelt pausenlos. Im Büro sitzt eine schlicht gekleidete ältere Frau und isst mit einer jungen Kollegin in Highheels und hautengem Schlangenlookshirt eine Meringuetorte. Im Zimmer nebenan empfängt die Alimbekowa, eine asiatische Mischung aus Mutter Courage und Beate Uhse.

Wo immer sie kann, fährt sie den sich auf traditionelle Werte rückbesinnenden usbekischen Politikern energisch in die Parade. „Sie hat Haare auf den Zähnen“, flüstert eine Mitarbeiterin stolz. Kommen ausländische Gäste, feiert Präsident Islam Karimow die Unbequeme notgedrungen als Zentralasiens Vorzeigeemanze. Selbst Peter Scholl-Latour, vor Jahren auf Reportagereise in Usbekistan, wurde die Alimbekowa präsentiert. „Der nannte mich ‚die Kämpferin mit den Löwenaugen‘ oder so einen Quatsch“, sagt Dildar Alimbekowa und muss kurz lachen. Für Randnotizen hat sie nicht wirklich Zeit. Die Frau hat eine Message, und die muss raus: „Ich wünschte mir, die Frauen würden nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch denken.“ Bei den letzten Parlamentswahlen unterstützte der Verband 25 unabhängige Kandidatinnen. Aber keine wurde von den Wahlkomitees gewählt. Sie selbst war im ersten usbekischen Ausschuss für Wirtschaftsreformen Anfang der Neunzigerjahre neben 24 Männern die einzige Frau. Beharrlich kämpfte sie später für ein Gesetz, das es Frauen erlaubt, auch ohne männlichen Vormund Kreditunionen zur Existenzgründung zu bilden.

Schon unter Gorbatschow war Alimbekowa, die überzeugte Kommunistin, Unternehmerin geworden. Weil sie selbst Ende der Achtzigerjahre nicht wusste, was Buchführung und Steuererklärung sind, schrieb sie die ersten Ratgeber, die bald zu Bestsellern wurden. Es folgten Fernsehauftritte, Reisen landauf, landab, und dann 1991 der Aufbruch in die Marktwirtschaft. Klar, dass Alimbekowa den ersten Unternehmerinnenverband gründete.

Längst verflogen ist die Euphorie. In Usbekistan blühen so wenige Landschaften wie in anderen ehemals sozialistischen Staaten. Und, auch das wurde bald klar, Frauen ringen eher um Selbstbehauptung als um Gewerbescheine. „Frustrierend“ sei es, dass mit der Demokratisierung des Landes gleichzeitig Frauen immer weniger zu melden hätten, beklagt Alimbekowa. Kredite bekämen Frauen meist nur, wenn sie einen Mann vorschicken. „Wir Frauen fühlen den Druck des Islam am ehesten“, sagt sie in fließendem Russisch. Es regt sie wahnsinnig auf, dass sich immer mehr Mädchen und junge Frauen, egal welcher Schicht, dem Islam zuwenden: „Die sind wie Zombies. Die haben keine Argumente, sind wie gehirngewaschen.“ Ob in Buchara, Samarkand oder im Ferganatal, überall repetieren die frisch gebackenen Musliminnen Sentenzen über ein zukünftiges Paradies – und die irdischen Pflichten der Frauen als Mütter. Es sei, sagt die resolute Verbandschefin, als ob man in Zuckerwatte greife.

Dildar Alimbekowa ist zu klug, um nicht zu verstehen. Die Frauen, erklärt sie, fühlten sich angesichts des täglichen Überlebenskampfes in der neuen alten Religion geborgen. Der Islam, den Extremisten und Überzeugte aus den Bergen Afghanistans in die Ebenen Usbekistans tragen, kleide die geistlich Nackten mit den Kleidern einer neuen Identität.

Diese Frauen, sagt die Alimbekowa, seien für die Sache der Emanzipation und damit für die Zukunft ihres Landes verloren. „Wir, die Frauen meiner Generation, sind mehr Euroasiatinnen. Wir haben von der sowjetischen Politik profitiert, haben in Moskau und Leningrad studiert. Aber die 25- bis 40-Jährigen, die haben keine Perspektive. Der Geist der Perestroika hat sie nicht mehr erreicht, sie sind ins geistige Vakuum zwischen Sozialismus und Materialismus gefallen.“ Erklären tröstet. Sie da herauszuholen, daran glaubt Alimbekowa nicht mehr. Nein, es sind die ganz jungen Mädchen, auf die sie hofft.

Und die jungen Männer. Damit es zwischen beiden nicht allzu trist zugeht, kämpfen die Unternehmerinnen dafür, Sexualkundevorlesungen für die zahllosen Soldaten im Lande halten zu dürfen. Das von der George-Soros-Foundation finanzierte Programm erklärt den bis an die Zähne bewaffneten Streitkräften nun wenigstens die Sexualorgane der Frau. „Die wissen nix! Na ja, zu Sowjetzeiten hieß es ja immer: Wir haben keinen Sex! Da gab’s höchstens Biologieunterricht“, sagt eine Verbandsfrau und muss leise lachen.

Das dringend benötigte Geld für die usbekische Ausnahme-NGO kommt aus den Industriestaaten. Auch die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ist dabei. Gemeinsam mit der Handwerkskammer Mainz organisiert man eine berufliche Ausbildung für Frauen. So unterrichtet der mittlerweile 4.100 Mitglieder zählende Verband landesweit Mädchen im Nähen, Backen und Verkaufen. Lehrt, wie „Businesspläne“ aussehen sollten und Kleinstkredite beantragt werden.

Das alles funktioniert so gut, dass immer öfter auch Männer mitmachen wollen. „Klar nehmen wir sie auf, wir sind doch nicht männerfeindlich“, sagt Alimbekowa. Schließlich litten auch Männer unter den Verhältnissen. Alimbekowas jüngstes Projekt ist der Jugendverband „Iqbal“, „Glaube an die Zukunft“. Rund sechzig Prozent der usbekischen Bevölkerung sind unter achtzehn. Davon ist die große Mehrheit ohne Ausbildung und Perspektive. Und die Regierung ohne Idee, wie damit umzugehen sei.

Safira braucht keine Projekte, Safira braucht Geld. „Let’s make business!“, ruft die Vierzehnjährige und preist in fließendem Englisch die rasch ausgebreitete Ware an. Wie zahllose Kinder ihrer Heimatstadt Buchara verkauft auch sie die bunten Täschchen, Käppis und Jacken der Region. Zu Hause sticken Mutter und Großmutter, was die jüngste Tochter mit Charme und Geschick an Touristen verhökert. Morgens besucht Safira die benachbarte Schule, am Nachmittag verdient sie vor der Moschee Kalon das Geld, das ihre Familie zum Leben braucht. Als Sportlehrer verdient der Vater, wie die meisten Staatsangestellten, umgerechnet nur zehn Euro im Monat. Abends zählt Safira in der Küche die Tageseinnahmen. „Yeah, jetzt kann ich mir endlich eine Jeans kaufen“, jubelt sie und tanzt vor Freude eine Runde Bauchtanz.

Die Alimbekowa setzt all ihre Hoffnung auf diese jungen Mädchen. „Die Frage ist nur“, sagt sie nachdenklich, „ob diese Mädchen echte Frauen werden oder Barbiepuppen.“

ADRIENNE WOLTERSDORF, 35, ist Ressortleiterin der taz-Berlin