Wallstreet wäre neidisch

„Die Abreisser“ sind zurück. Im Schauspielhaus zeigt das Blaumeier-Atelier seinen Theatererfolg von 2001. Die Aktion „Blaumeier geht an die Börse“ war ein eindrucksvoll-kreatives Spektakel – jetzt muss das Geld fließen

Da steigt er, da fliegt er, höher und höher. Noch höher. Gleich knallt der Dachs durch die Decke. Mit der Aktion „Blaumeier geht an die Börse“ legte die Bremer Künstlertruppe „Blaumeier-Atelier“ einen fulminanten Börsenstart hin.

Doch leider nur als Grafik im Foyer des Schauspielhauses. Die BesucherInnen am vergangenen Donnerstagabend zückten zögerlich die Geldbörsen. Da ein Fünfer, dort nur ein Euro. Es zappelte der kleine Stoffdachs und drohte abzustürzen. Das arme Tierchen. Nun schnell ins Theater, Ablenkung. Dort zeigen die Blaumeier bis Sonntag ihr Stück „Die Abreisser“. Schon vergangenes Jahr war es im Güterbahnhof umjubelt und ausverkauft.

Die Bühne als Baustelle: Ein Kino wird abgerissen. Wehmütig müssen die Angestellten des Gloria-Lichtspieltheaters mit ansehen, wie ihr kleines Häuschen nach und nach vor die Hunde geht. Ein fieser Investor steckt dahinter, dem jedes Mittel recht ist, die etwas verpennten Kinobetreiber platt zu machen.

Zwischen den Zertümmerungszeremonien tritt immer mal wieder jemand gegen den klapprigen Projektor, der das stillgelegte Kino zum Leben erweckt. Es steigt ein Mann aus der Leinwand, tanzt den Bogart hinein ins gute alte Kinoidyll.

Das Kino ist am Ende, die Akteure aber noch lange nicht. Versunken irgendwo zwischen Wirklichkeit und Erfindung trudeln sie in eine neue Welt. „Die Abreisser“ sind eine Mischung aus Improvisation und Straßentheater. Einzelne Handlungsfäden ziehen sich durch den verfallenen Kinopalast, reißen ab oder knoten sich zu kleinen Szenen zusammen. Ein Sammelsurium aus Krimi, Klamauk und Slapstick entsteht, immer eingerahmt von der drohenden finalen Sprengung.

Richtig durchgedreht sind die Zweier-Szenen. Wenn beispielsweise der böse Investor Herr Meier (wunderbar: Frank Grabski) in seinem Rollstuhl der S-Klasse, armlos und einbeinig auf seinem Bodygard Otto herumhackt. Die ungeschliffenen Schauspieler sind es, die dem Stück gewitzte Spitzen aufsetzen.

Bisweilen franst das Netz der Fragmente etwas aus, was ein paar Längen zur Folge hat. Doch im noch nicht ganz zu späten Moment taucht er wieder auf, der Mann aus der Leinwand (Star des Abends: Franz Fendt), und animiert die Kinomenschen zum Ausleben ihrer Träume.

Die 20 SchauspielerInnen erarbeiteten das Stück zusammen, ohne Textvorlage. Erst im Laufe der Proben kamen die Ideen von Baustelle und Kino zusammen. Filmmusikalisch begleitet durch das „Gloria Septett“, legendär: die gnadenlos freakige Trompete Hellena Harttungs.

Für die kreative Farbenfülle in der Zusammenarbeit mit „Verrückt-Normalen“ und „Normal-Verrückten“ ist das Blaumeier Atelier seit seiner Gründung vor 16 Jahren bekannt: Theater, Malerei, Musik, Maskenbau und Maskenspiel, das Wochenprogramm ist bis oben hin voll. „Konzept ist, die Kunst in den Mittelpunkt zu stellen“, heißt es ausdrücklich in den Selbstdarstellungen.

Entstanden ist Blaumeier, als die Psychiatrische Klinik Kloster Blankenburg geschlossen wurde. 1985 fanden sich über die „Blaue Karawane“ Künstlerinnen und Künstler, um gemeinsam mit den damaligen Patienten zu arbeiten. 1986 schon hatten sie einen festen Ort: das Atelier in der Travemünder Straße.

Die Aktion „Blaumeier geht an die Börse“ läuft weiter. Erste größere Spenden haben sich bereits aufgetan: ein Batzen von 20.000 Euro, die die Kulturdeputation aus Wettmitteln für Projektarbeit zur Verfügung stellt. Lieber Dachs, Kopf hoch!

Hannes Krug

„Die Abreisser“ sind bis Sonntag im Schauspielhaus unterwegs. 20 Uhr gehts los, Karten unter ☎0421–3653333. Aber das ist noch nicht das Ende. Die Blaumeier-Tournee führt sie am 16. und 17. September nach Oldenburg in die Kulturetage. Beginn auch 20 Uhr. Spendenkonto: Sparkasse Bremen (BLZ 290 501 01), Kontonummer 11 887 205