piwik no script img

Die Wucht der Repression

Lidokino (3): Schöne Stimmung und Peter Mullans harter Film „The Magdalene Sisters“

von CRISTINA NORD

Die Stimmung ist gelassen. Keine Taschenkontrollen, verhältnismäßig wenig Gedränge vor und in den Kinosälen, freundliche Menschen im Pressezentrum. Die kubanische Schauspielerin Luisa María Jimenes, die eben noch in dem Spielfilm „Rosa la China“ in auffällig gelben Kleidern steckte, steht vor einem Kleiderständer im einzigen Lido-Kaufhaus. Salma Hayek und Julie Taymor lassen die Pressekonferenz zu „Frida“ zwar mit fast halbstündiger Verspätung beginnen und erzählen zudem genau, was zu erwarten war: dass es um den persönlichen Faktor in der Geschichte Frida Kahlos gehe. Aber man sieht es ihnen nach, weil Hayek so nett lächelt.

In diese schöne Stimmung platzt ein harter Film: Peter Mullans Wettbewerbsbeitrag „The Magdalene Sisters“. Er ist im Irland der Sechzigerjahre angesiedelt, und er handelt von einer Gruppe junger Frauen, die in ein von katholischen Nonnen geführtes Heim eingewiesen werden. Die eine, Margaret (Anne-Marie Duff), wurde von ihrem Cousin vergewaltigt, die nächste, Rose (Dorothy Duffy), hat ein uneheliches Kind zur Welt gebracht und wird daraufhin von ihrer Familie verstoßen, die dritte, Bernadette (Nora-Jane Noone) sieht zu gut aus, als dass sie in Irland frei herumlaufen dürfte, und die vierte, Crispina (Eileen Walsh), hat wie Rose ein uneheliches Kind und ist außerdem ein bisschen dumm. Deswegen müssen sie in der Wäscherei des Heims schuften, unter der strengen Aufsicht der Schwestern, und sobald eine gegen das rigide Regelwerk verstößt, folgt die Strafe: Wer unerlaubt das Zimmer der Oberin betritt, bekommt Hiebe auf die Oberschenkel, wer sich mit jemandem aus dem Dorf unterhält, wird mit dem Gürtel gezüchtigt, und die, die gar einen Fluchtversuch unternimmt, wird grün und blau geprügelt, bevor ihr das Haar geschoren wird.

„The Magdalene Sisters“ will klare Fronten: auf der einen Seite die Nonnen und gelegentlich ein Priester als Repräsentanten eines religiös verbrämten Repressionsapparats, auf der anderen Seite die jungen Frauen, ohne Schuld eingesperrt, den Schwestern ausgeliefert. Zum Widerstand sind sie nicht fähig, weil sie selbst an die Moral glauben, in deren Namen sie bestraft werden. Glauben und Kapitalismus verquicken sich dabei auf eine ausgesprochen profitable Weise: Da die Frauen arbeiten, um sich von ihren Sünden zu befreien, müssen sie nicht entlohnt werden. Die Einnahmen aus der Wäscherei bleiben bei der Oberschwester. Und noch in anderer Hinsicht zeigt „The Magdalene Sisters“, dass es für eine Gesellschaft profitabel ist, via religiöse Moralvorstellung einen Teil ihrer selbst zu stigmatisieren: Die jungen Mädchen sind nicht nur Arbeitstiere, sie sind zudem – als Huren gebrandmarkt – nicht mehr gesellschaftsfähig und deswegen für jede Projektion, für jeden Missbrauch zu haben. Die Männer aus dem Dorf, der Priester, aber auch die Nonnen haben es einfach, ihre Fantasien auf die jungen Frauen zu werfen. So werden diese dann zu dem, was ihnen als Stigma auferlegt wurde.

Es dauert nicht allzu lange, bis das Ausmaß von Unterdrückung, das Mullan zeigt, nicht mehr zu ertragen ist. Immer neue Szenen der Erniedrigung und Verzweiflung folgen einander, Widerstand ist fern. Als er sich endlich regt, reagiert das Publikum der Pressevorführung bezeichnenderweise mit langem Szenenapplaus. Man könnte Mullan vorwerfen, dass er die Wucht der Unterdrückung zu stark ausspielt, dass er zu viel Ohnmacht inszeniert. Und doch ist sein Film wichtig – nicht zuletzt, weil er in eine Zeit fällt, in der sich die katholische Kirche endlich dazu gezwungen sieht, sich mit den Verbrechen ihrer Repräsentanten zu befassen. „The Magdalene Sisters“ mag ein Spielfilm sein, die entsprechenden Heime existierten in Irland bis vor wenigen Jahren. So nah kann einem der Fundamentalismus kommen. Vor diesem Hintergrund ist „The Magdalene Sisters“ der richtige Film zum richtigen Zeitpunkt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen