Jeder hängt an seinem Exponat

Beim Drachenfestival in Hoppegarten lassen 300 Fans aus ganz Deutschland ihre Flugkonstruktionen in den Himmel steigen. Sie sind Fachleute für auflandigen Wind, Waageschnüre oder Dreiecks-Ballett – und träumen von dänischen Winden

von KIRSTEN KÜPPERS

Der Drachenfreund ist ein Mensch von praktischer Veranlagung. Ein Heimwerker, der gern Bier trinkt und Radio hört. Beim Internationalen Drachenfestival 2002 am Wochenende auf der Galopprennbahn in Hoppegarten konnte man das wieder sehen. Denn die Marketingstrategen von Obi, Schultheiss und Radio Eins wissen genau, wo sie ihre Zielgruppe finden. Sie kennen die Plätze, wo sie ihre Angestellten am besten in überdimensionierte orangefarbene Plüschkostüme stecken, damit die Werbegeschenke die Richtigen erreichen.

Am Wochenende war dieser Ort die Galopprennbahn in Hoppegarten. Über 300 Drachenbauer und Drachenlenker aus ganz Europa kamen zusammen, um hier gemeinsam ihr Hobby, das Drachensteigen, zu begehen. Schon das Begleitprogramm des Festivals ließ früh Rückschlüsse auf Vorlieben des gemeinen Drachensportlers zu. Für den Abend waren ostdeutsche Musikgrößen wie die Liedermacherin Veronika Fischer und Karat gebucht.

Der Nachmittag ist jedoch die Zeit, in der sich der Hobbyfreund auf dem weiten Hoppegartener Rennbahnfeld noch mit seinem Gerät beschäftigt, dem Drachen. Viele bunte Punkte stehen oben im Himmel, große und kleine, mehrere hundert müssen das sein. Der jeweils dazugehörige Mensch ist am anderen Ende der Leine unten am Boden zu finden. Zum Beispiel Andreas, Familienvater und Hausmeister aus Magdeburg. Sein grüner Drachen hat die Form eines Dinosauriers.

Andreas zeigt einem Laien schnell, was ein Fachmann ist. Eine eigene Sprache gehört dazu: „Sie brauchen einen auflandigen Wind zum Trimmen“, sagt Andreas, „sonst kriegen Sie das mit den Waageschnüren nicht hin.“ Er erzählt von Luftmassen, die sich übereinanderschieben, von Anstellwinkeln. Ein physikalisches Wunder. Es geht nicht um das, was dieser Sport auch bedeutet: Nämlich, dass man sich jede freie Minute ins Feld stellt; dass Ehefrauen und Freundinnen monatelang die leichte Drachenseide vorsichtig zu riesigen Marienkäfern oder Disneyfiguren zusammennähen; dass alle von der dänischen Insel Farnö träumen, dem Eldorado der Drachenfreunde, wo der Wind so gut ist, dass selbst die Asiaten und Neuseeländer kommen. Nein, Andreas redet lieber über Böen und Justierung. Das andere ist eine Selbstverständlichkeit, wenn man im Verein Mitglied ist. Andreas ist bei „Elbwind“ dabei, mit 80 Leuten sind sie an diesem Wochenende hier.

Leipziger, Rostocker oder Hildesheimer schauen skeptisch in die Berlin-Brandenburgische Luft, trinken auf Campingstühlen ihr Bier, wachen über den Himmel. „Jeder hängt ja irgendwo an seinem Exponat“, sagt einer. Weiter hinten stehen die Kollegen von der anderen Disziplin, die mit den Lenkdrachen. Zu einem Michael-Jackson-Lied lassen sie Dreiecke im Himmel tanzen, „Ballett“ nennt sich das, eine Jury macht sich Notizen. Die Choreografie muss synchron sein, exakt und voller Risiko. Christian und Dieter aus Traunstein werden das Rennen wohl machen, so geschickt wie sie sind. Da glaubt auch Gitti aus Hellersdorf dran.

Sie ist nur zum Gucken gekommen. Und zu Gucken gibt’s hier ja so viel. Etwa den Mann aus Bad Salzuflen, der schon seit Stunden versucht, seinen Drachen in Form eines riesigen Hummers in die Luft zu bekommen. Oder den Berliner Alfons Karstens, der eine komplizierte Drachenkonstruktion entwickelt hat, für die es zehn Helfer, und mehrere Lastwagen braucht; ein System, das es schafft, wie Karstens jedem Passanten wortreich erklärt, einen ausgewachsenen Menschen 115 Meter hoch in den Himmel zu ziehen.

Ansonsten verlaufen Drachenfestivals wie andere Volksfeste auch. Die Laune, eine Unternehmung zu wagen, ist da. Ein orangefarbenes Obi-Maskottchen läuft vor ein paar Jungs davon, die ihm den Plüschschwanz abfackeln wollen. Teenager holen sich einen halben Meter Bratwurst. Auf der Bühne fängt eine Band wie Karat mit ihrem Soundcheck an.