Schwall und Rauch

Zwei sehr kämpferische Nichtraucher nehmen das Gesetz wörtlich, packen die Koffer, besetzen in Wilmersdorf ein Haus und warten auf die Polizei. Über die Grenzen des individuell Machbaren

„Nikotiniker? Ich könnte nicht mit meinem Peiniger befreundet sein.“

von JAN ROSENKRANZ

Sie verpesten die Umwelt, die Bahnhöfe und sogar die Wohnung, in der er seit 16 Jahren wohnt. Frank Wöckel, 38, mag keine Raucher. Genau genommen hasst er sie. Und weil das Wort „Raucher“ die Sucht verharmlost, nennt er sie Nikotiniker. Abschaum. Und weil die Nikotiniker in der Wohnung unter ihm mit dem Rauchen nicht aufhören wollen und sich hartnäckig weigern auszuziehen, hat er sie verklagt. Er hat den Prozess verloren. Noch immer ziehen also Rauchschwaden durch die Fenster, reizen seine Schleimhäute, röten seine Augen und quälen seine Lunge. Damit soll jetzt Schluss sein. Zusammen mit der Mitstreiterin Doris-Kristina Barnekow, 54, hat er versucht in Grunewald ein Haus zu besetzen. Es sollte ein Nichtraucherhaus werden.

Dienstagvormittag. Im Goldfinkweg 2 steht ein hübsches zweistöckiges Einfamilienhaus mit großem Garten – grün, ruhig und beschaulich. Man wohnt gerne in dieser Gegend. „Hach“, stöhnt Frank Wöckel befreit, „hier bleiben wir, was, Doris?“ Doris nickt und schleift einen zentnerschweren Koffer die Zufahrt entlang. Wöckel trägt die blonden Haare als Zopf, am Kinn einen mächtigen Rauschebart und auf dem Rücken einen riesigen Rucksack. Zwei Wochen wollen sie bleiben – mindestens. Schlafsäcke, Kerzen und Wasser für die ersten Tage haben sie dabei.

Etwas unsicher schleicht Wöckel dem zu besetzenden Haus entgegen. Seit Doris vor einem Jahr die ehemalige Siedlung amerikanischer Offiziere entdeckte, waren sie öfter hier. Zum Gucken. Sie wissen, dass hinten die Terrassentür offen steht und dass sie das Haus besetzen können, ohne einbrechen zu müssen. Eine notwendige Bedingung für Frank Wöckel. Er hat noch nie in seinem Leben etwas Verbotenes getan. Aber hier handelt es sich um einen „rechtfertigenden Notstand“, sagt er entschuldigend. Er muss weitere Gefahr für seine Gesundheit abwenden. Doris auch. Deshalb greifen sie zur Selbsthilfe.

„Die Häuser stehen seit acht Jahren leer“, sagt Frank Wöckel. Und sie gehörem dem Staat. Und wenn der Staat sich weigert, uns vor den Gefahren des Passivrauchens zu schützen, müssen wir uns selber schützen.“ Alle umliegenden Häuser sollen Nichtraucherhäuser werden und das ganze Areal eine Nichtraucher-Schutzzone.

Frank Wöckel ist Gründer, Leiter und Pressesprecher der „Kampagne für die Rechte der Nichtraucher“. Genau genommen ist Frank Wöckel die Kampagne. Wie viele Mitstreiter es gibt, kann und will er nicht sagen. Ernst-Günther Krause, Vizepräsident der Nichtraucher-Initiative Deutschland e. V., hält ihn für einen Einzelkämpfer. „Außer mit extremistischen Nichtrauchern kann Herr Wöckel mit niemandem zusammenarbeiten“, sagt er. Frank Wöckel glaubt fest daran, dass ihm Entschädigung zusteht. Jahrelang wurde er geschädigt durch das Passivrauchen. Schon in der Kindheit habe der Vater versucht, ihn zu „vergasen“. Auch auf seiner ehemaligen Arbeitsstelle wurde er „beraucht“ und in seiner Wohnung leidet er unter den eindringenden Nikotinschwaden der Nachbarn – „Balkonflüchter“.

Nur dass es bislang niemanden zu interessieren schien. Nicht einmal die Bundestagsabgeordneten. Er hat sie alle angeschrieben, sogar eine Petition hat er eingereicht, mit der Forderung nach Nichtraucherhäusern. Passiert ist nichts. Dabei habe jeder Parlamentarier gelobt, Schaden vom Volke abzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Klage abgelehnt und der Europäische Gerichtshof überlegt noch. Das dauert. Und Geduld hat Wöckel nicht.

Dabei liege der Fall auf der Hand. „Ich bin geschädigt, das kann ich per Attest beweisen“, sagt er kämpferisch. Dass er hier in den Häusern am Goldfinkweg – selbstverständlich nach der Sanierung – mietfrei wird wohnen dürfen, hält er für das Mindeste.

Kurz nach 16 Uhr kommen zwei Mitarbeiter der Bundesvermögensverwaltung und fordern die Besetzer auf, das Gelände sofort zu verlassen. Die Besetzer wollen mit dem Chef verhandeln, doch der hat heute frei. Die Polizei wird gerufen.

Damit hatten sie gerechnet. Was sie jetzt tun sollen, wissen sie dennoch nicht. Eine gewaltfreie Aktion muss es bleiben, „im Sinne des zivilen Ungehorsams, wie Ähnliches bereits von Mahatma Gandhi praktiziert worden ist“, sagt Wöckel immer wieder. Als die Polizei kommt, geben er und Doris auf. Sie packen ihre Sachen, die sie erst vor ein paar Stunden in die reichlich vorhandenen Einbauschränke geräumt hatten.

Jetzt stehen sie vor dem Grundstück und warten auf das Taxi. Ein Polizist, „ein Nikotiniker“, dem es wohl nicht rasch ging voranging, habe ihn zu Boden geworfen und ihm den Arm verdreht, berichtet Wöckel. Die Beamten haben ihre Personalien aufgenommen. Ob die Bundesvermögensverwaltung Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellt, wissen sie nicht. Auch nicht, ob sie es vielleicht ein andermal wieder versuchen sollen. Frank Wöckel muss drüber schlafen, der Schock sitzt noch zu tief in den Knochen. „Wenigstens haben wir jetzt den Beweis, dass der Staat gewaltsam gegen Nichtraucher vorgeht“, sagt er.