Blick in den Hades

Michelangelo war schwul, James Dean auch. Schwule Historiographie verlor sich meist im Heldischen. Zur aktuellen Debatte um die Antifigur des homosexuelle Schurken ein Essay

von AXEL KRÄMER

David Brock ist ein wahrhaftiger Schurke. Er selbst ist es, der in einem beispiellosen Akt der Selbstbezichtigung von sich das Bild eines Lügners zeichnet, eines Schmierenreporters und Hexenjägers. Zumindest war er all dies zu einer Zeit, als in den USA die Skandalisierung des Sexlebens von Politikern ihren Höhepunkt erreicht hatte. Im Dienste kühl kalkulierender Wahlkampfstrategen schnüffelte er etwa im Privatleben von Bill Clinton und brachte jene Intrige ins Rollen, die dem früheren Präsidenten als Affäre Paula Jones noch lange anhaften sollte. Auch das Privatleben der Juraprofessorin Anita Hill, die gegen den konservativen Richter Clarence Thomas wegen sexueller Belästigung zu Felde zog, wurde durch Brock in allen intimen Details an die Öffentlichkeit gezerrt und mit Diffamierungen gespickt. Kaum eines der von Brock in Umlauf gebrachten Gerüchte entsprach der Wahrheit.

Sexuelle Denunziation in Verbindung mit Halbwahrheiten, das war Brocks Spezialität. Dabei steckte ihm die Angst vor Enthüllungen selbst in den Knochen. Denn Brock ist schwul, und obwohl er seine Homosexualität schon in den Achtzigerjahren akzeptiert hatte, trieb ihn lange Zeit die Furcht um, seinen Job beim rechtsgerichteten US-Magazin Spectator zu verlieren. Mit zwiespältigen Gefühlen verkehrte er in der Homoszene Washingtons. Heimisch fühlte er sich dort nie.

Inzwischen, nach einer Phase der Selbstreflexion und der Selbstakzeptanz, gesteht er seine politischen Missetaten reumütig ein. In Talkshows, in Chatrunden, einem offenen Brief an die Clintons und in seinem Buch „Blinded by the Right“ drückte er sein Bedauern für sein früheres Verhalten aus. „Ich hatte meine Seele verkauft“, bekennt der 39-Jährige heute.

In den USA hat der Fall eine Debatte losgetreten. Wie hat Brock es fertig gebracht, die Skrupellosigkeit, mit der er die gesellschaftliche Existenz anderer Leute attackierte, unter einen Hut zu bringen mit seinen eigenen Erfahrungen als Außenseiter und seiner Furcht vor Ausgrenzung? Brocks Rechtfertigungen legen nahe, dass das Motiv seines Verhaltens der Wunsch nach Anerkennung war. Dabei kämpfte er ausgerechnet um das Wohlwollen jener, die sein Schwulsein verurteilten oder ihn verachtet hätten, wäre sein eigenes Sexleben ruchbar geworden. Darüber hinaus erweckte Brock in seiner Beichte den Eindruck, als gäbe es neben seinem noch weitere, ähnliche Fälle. So behauptet er, im Umfeld seiner Auftraggeber die Bekanntschaft zahlreicher Schwuler gemacht zu haben, die sich besonders rassistisch, sexistisch und antisemitisch gebärdeten, um damit ihre vermeintliche Unterlegenheit zu kompensieren.

Die Reaktionen auf Brocks Behauptungen waren überwiegend skeptisch. Zweifel kamen an jenen Details auf, die sich auf seine ehemaligen Mittäter beziehen – denn diese waren im selben Grundton moralischer Überlegenheit gehalten wie seine früheren Attacken. Wieso, fragten sich viele, sollte man sich darauf verlassen, dass ein ausgewiesener Verleumder auf einmal die Wahrheit über Menschen erzählt, von denen er sich mittlerweile distanziert?

Zumindest Brocks Zerrissenheit dürfte jedoch authentisch sein. Seine Bekenntnisse demonstrieren anschaulich, wie sich Täter- und Opferrolle auf komplexe Weise verschränken können. So offenbart seine Geschichte einen ungewohnten Blick auf das schwule Selbstverständnis. Denn Schwule definieren sich bis zum heutigen Tag vor allem als Angehörige einer unterdrückten Minderheit.

Tatsächlich gerät dieses Bild immer mehr ins Wanken. Kritik kommt etwa vom Historiker Christoph Holtorf, der sich mit „Gender und Geschichte“ aus kulturwissenschaftlicher Perspektive auseinander setzt. „Schwule Geschichte ist in der Regel Diskriminierungsgeschichte“, so der Dresdner. „Was geleistet wird, sind Untersuchungen über mangelnde sexuelle Freiheit in der Historie, über schwule Geschichtsstars, politische Oppositionsbewegungen und heimliche Orte des Geschlechtsverkehrs.“ Tatsächlich seien jedoch Schwule seit jeher in die vorherrschenden Machtstrukturen eingebunden. Erstaunlich findet Holtorf, dass sich die Homohistoriker von der feministischen Geschichtsforschung bislang unbeeindruckt zeigen: Diese hat seit langem eine Wende von der Darstellung sexueller Diskriminierung zur Analyse komplexer Wechselbeziehungen vollzogen. Von einer vielschichtigen Beschreibung gesellschaftlicher Gewaltstrukturen ist schwule Geschichtsschreibung noch weit entfernt.

Auf einen reißerischen Effekt scheinen jene Versuche aus jüngster Zeit abzuzielen, die Adolf Hitler und andere personifizierte Superlative des Bösen als verklemmte Homosexuelle entlarven wollen. Sie beruhen oft einzig auf Gerüchten und Unterstellungen. Auch der soziokulturelle Kontext bleibt meist ausgeblendet. So wird geradewegs der Eindruck vermittelt, das homosexuelles Begehren an sich sei die Ursache pathologischen Verhaltens – und nicht etwa gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen.

Zu den gescheiterten Bemühungen, schwule Geschichte differenzierter als bislang darzustellen, darf man auch das Buch „Schwule Schurken“ aus dem Hamburger Verlag Männerschwarm-skript zählen. Im Boulevardzeitungsstil porträtiert der Autor Eric Walz „elf historische Finsterlinge“ quer durch die Weltgeschichte – und zwar so, „als ob er dabei gewesen sei“, wie es im Werbetext heißt. Das Kapitel über den Serienmörder Jeffrey Dahmer, der siebzehn Menschen tötete, ruft dabei die berüchtigte Bild-Serie „Die homosexuellen Lustmörder“ in Erinnerung, mit der das Blatt vor knapp dreißig Jahren auf seine ihm eigene Art Aufklärung über Homosexualität betrieb. Auch Walz bedient in erster Linie voyeuristische Bedürfnisse. Dabei nähert er sich selbst Figuren wie Alexander dem Großen oder Papst Sixtus IV. aus einer Perspektive eines heutigen Gesellschaftsverständnisses.

Was aber bedeutete es zu Zeiten des römischen Kaisers Heliogabal oder Friedrichs des Großen, gleichgeschlechtliche Bedürfnisse zu haben? Welche gesellschaftliche Rolle spielte Homosexualität in den jeweiligen Epochen? Gab es vor dem zwanzigsten Jahrhundert überhaupt eine schwule Identität? Davon vermittelt der Autor nicht den Hauch einer Ahnung. Im Vorwort wird gerade mal mit einem pauschalen Satz angedeutet, dass nicht zuletzt „die erotische Außenseiterstellung“ und die „fehlende Einbindung in das normale Leben“ der porträtierten Schurken zu „Haltlosigkeit und Rücksichtslosigkeit“ beigetragen hätten.

In erster Linie ging es Walz darum, „unterhaltsame und gruselige Geschichten“ zu erzählen, wie es auf dem Bucheinband heißt. Dem erwünschten Gruseleffekt ist es vermutlich geschuldet, dass die Figuren fast ausschließlich auf Klischees des Bösen reduziert wurden. Jedenfalls verhindert dieser Umstand, dass man sich auf die Antihelden ernsthaft einlassen und ihre Motive nachvollziehen muss. Das hätte jedoch das wirklich Spannende an dem Thema sein können: an der einen oder anderen Stelle ein Identifikationsmoment zu erzeugen. Das mulmige Gefühl, unter bestimmten Umständen auch unrecht gehandelt zu haben – es stellt sich nirgends ein. Freilich ist dies auch kein leichtes Unterfangen, auch nicht bei einem zeitgenössischen und trotzdem schwer greifbaren Charakter wie dem Neonazi Michael Kühnen. Vielleicht wollte sich der Autor der Herausforderung bewusst nicht stellen, obgleich er im Vorwort von seinem schwulen Zielpublikum wie selbstverständlich einfordert, „sich auch mit den dunklen Gestalten seiner Geschichte auseinander zu setzen“. Die eigenen Schattenseiten bleiben während der Lektüre jedoch unberührt: Böse und niederträchtig, das sind immer nur die anderen.

Im Pressetext zum Buch heißt es, der Olymp der Schwulen sei mit Kultfiguren wie Michelangelo und James Dean bevölkert. Jetzt sei es an der Zeit, den Blick auch auf den Hades zu richten und das Leben jener Antihelden zu beschreiben, „die Kriege geführt, gemordet und erpresst haben“. Doch es mag nicht recht einleuchten, zu welchem Zweck dafür recherchiert wurde. Jedenfalls nicht, solange die Motive im Dunkeln bleiben und die Frage ausgeklammert wird, warum schwule Männer die Gewalt, die sie selbst an Leib und Seele erfahren, nur allzu bereitwillig an andere weitergeben.

Detailliert sind die Porträts, und gruselig – aber sie berühren nicht so, wie es die Geschichte von David Brock vermag, sie werfen keine Fragen auf. Was bleibt, ist ein Gefühl von Distanz. Eine verpasste Chance.

AXEL KRÄMER, 35, lebt als freier Autor in Berlin