Der Wind, da bläst er

Markus und Ina Landt wohnen seit zwei Jahren in Worpswede. Ihre Vision von der ultramodernen Gesellschaft bringt Wind in den angestaubten Kunstbetrieb. Das Künstlerpaar verlangt Gleichheit im Rechtsleben, Freiheit im Geistesleben und Geschwisterlichkeit im Wirtschaftsleben

Der Aufbruchmythos von damals ist im Moor erstickt

Da weht er. Endlich. Ein starker Wind durch Worpswede. Es ist ein Künstlerpaar angekommen. Markus und Ina Landt. Sie, braun gelockt und strahlend, er mit Hut, in klein, ein Joseph Beuys. Zwei Menschen mit der Vision, die Gesellschaft zu ändern. Worpswede, das Dorf im Teufelsmoor. Seit über einem Jahrhundert Künstlerdorf. Seit einem halben Jahrhundert still versackt. Worpswede. Inzwischen zu einer Kaffeefahrt verkommen, der Aufbruchmythos des vergangenen Jahrhunderts im Moor erstickt.

2002. September. Beuys-Meisterschüler, Kunstwissenschaftler, Landwirte, Geistesarbeiter. Sie alle werden von Markus und Ina Landt in das Haus im Schluh eingeladen, um zu diskutieren und nachzudenken. Zusammen mit Berit Müller, Urenkelin Heinrich Vogelers, entwarfen sie das Konzept von einer interaktiven Ausstellung. Objekte von Joseph Beuys, Heinrich Vogeler, Markus und Ina Landt bilden den Rahmen, in dessen Mitte bis Ende Oktober geistig gearbeitet werden soll. Zum Beispiel an der Dreigeteiltheit des sozialen Organismus. Die Dreigeteiltheit, die Rudolf Steiner (1861-1925) entwarf: Freiheit für das Geistesleben, Gleichheit im Rechts- und Staatswesen und Geschwisterlichkeit im Wirtschaftsleben. Gedanken, die sich durch das ganze 20. Jahrhundert ziehen. Gedanken an eine Alternative zwischen Kommunismus und Kapitalismus.

Markus und Ina Landt wollen Worpswede retten. Es ist ein Versuch, vielleicht sogar mehr als das. Schüchtern steht er da, der Markus Landt. Seine leuchtend blauen Augen fluten den Ausstellungsraum im Haus im Schluh. Doch er sagt nichts. Stumm steht er vor einer großen Tafel, sucht nach den richtigen Worten, den Worten für einen Neuanfang.

2000. Das Künstlerpaar zieht nach Worpswede. Die Birken an der Straße stehen so eng, als könnten sie den Touristen in den 17-Uhr-Kaffee spucken. Die nette Biedermeierlichkeit Worpswedes schreckt die beiden wenig. Sie finden ein Haus mit Druckmöglichkeiten gleich in der Nachbarschaft. Büttenpapier im Rucksack, und bald kratzt die Kaltnadel am verstaubten Kunstbegriff Worpswedes. Erste Radierungen wider die Angepasstheit des Kunstbetriebs entstehen. Markus und Ina Landts Ziel.

Sehr wohl wissen sie, dass Joseph Beuys (1921-1986) seine Vision vom erweiterten Kunstbegriff auch aus den Ideen Heinrich Vogelers (1872-1942) schöpfte. Gern zog sich Vogeler in den 1920-er Jahren in seine Klause auf dem Worpsweder Barkenhoff zurück, um sich eine neue Weltanschauung zu basteln. Er wollte die moderne Konkurrenz-Gesellschaft in eine ultramoderne Gesellschaft des förderlichen Miteinanders umwandeln.

Eine Aufbruchstimmung wehte durch Worpswede, trug Dichter wie Rainer Maria Rilke mit sich oder romantische Kunstallrounder wie Heinrich Vogeler. Bald siedelten mehr und mehr Erneuerer um den 54 Meter hohen Weyerberg aus Sand. Und sie suchten. Suchten die ideale Gesellschaft, den frischen Blick auf die Kunst.

Markus Landt ringt nicht mehr nach Worten im Gehöft des Hauses im Schluh. Jetzt deutet er. Auf die Tafel hinter ihm. Flüchtig ist dort das Werk „Die Auferstehung“ von Piero della Francesca skizziert. Ein Werk der Renaissance, eine Kunstepoche, die Wiedergeburt im Namen trägt. Wild gestikulierend zieht er eine umgefallene Acht durch das Bild. Dann besteigt er flink die beistehende Leiter. Erklimmt sie mit Kreide in der Hand und zieht eine weitere Acht, aufrecht, in die Liegende hinein. Löst da eine Unendlichkeit die andere ab? Warum fällt die eine Acht in die andere? Oder war die liegende Acht vielleicht gar ein Kreis, der nun eingedellt ist? Die Gäste und Geister des Vortrags bleiben ratlos.

Eine Besucherin wirft gar konstruktiv ein: „Man kann ja vom Elefanten aufs Strickmuster kommen. Wieso machen Sie das?“ Markus Landt lächelt. Nützliche Kritik belebt ihn. Mit Mut erklärt er sich. Mutig sei es, ein Werk aus dem 15. Jahrhundert mit den Ideen eines Rudolf Steiner zu vergleichen. „Für wen machen wir denn Kunst? Für die Unkultur in der wir leben? Kunst ist zum Konsumgut verkommen. Wir Menschen besuchen Vernissagen, schlürfen Sekt, unterhalten uns und verschwinden wieder. Die Bilder aber, der Sinn unseres Besuchs, gehen verloren. Wir sehen uns, um uns zu sehen. Die Kunst sehen wir nicht.“ So hört sich Markus Landt an. Er ist zu spüren, der Wind, der das einst bedeutende Künstlerdorf erschauern lässt.

Eine neue Kunst wollen die jungen Worpsweder nicht erfinden. Die Utopie von der idealen Gesellschaft wird Utopie bleiben. Was die Aktion bewirken kann, ist ein Spinnennetz zu weben, das geistige Arbeiter nach Worpswede zieht. „Back to the roots“ ist die Devise, als erneuerter Mensch zurück zu den Wurzeln. Na denn los, her mit dem erweiterten Kunstbegriff! Her mit spiritueller Landwirtschaft, mit alternativen Geldkreisläufen! Los jetzt, arbeitet!

Hannes Krug

Das Ausstellungsprojekt „Kontinuität, erweiterter Kunstbegriff“ läuft noch bis zum 27. Oktober im Haus im Schluh in Worpswede. Nächste kreative Mitgestaltungsmöglichkeit bietet sich heute (7.9., 20.30 Uhr). Das Thema: „Können wir alternative Geldkreisläufe initiieren?“. Das gesamte Programm kann im Netz unter www.haus-im-schluh.de eingesehen werden. Infos auch unter ☎04792–522.