Von GRU nach TXL

Im Niemandsland des Wartens: Der Galerist Rafael Vostell ist nach neun Westberliner Jahren in den Pfefferberg gezogen. Heute eröffnet er seine Galerie mit einer Ausstellung der brasilianischen Künstlerin Ana Maria Tavares

Von außen sieht’s reichlich ruinös aus: Der Pfefferberg steht heute zwischen Leerstand und Sanierung, zwischen alter und neuer Berliner Welt. Im zweiten Hof aber locken bereits frisch geweißte Räume. Der bisher in Charlottenburg ansässige Galerist und Künstlersohn Rafael Vostell präsentiert sein neues Domizil. Allerdings gehe es ihm nicht darum, erzählt Vostell lässig, zwanghaft in einem Szeneviertel Quartier zu finden. Vielmehr verführte ihn die Atmosphäre der ehemaligen Brauerei mit ihren hohen, von Licht gefluteten Räumen.

Der brasilianischen Künstlerin Ana Maria Tavares musste er denn auch Fotos und Grundrisse schicken: zwecks detailgetreuer Planung und Simulation ihrer Ausstellung. Tavares, 1958 geboren, ist eine intellektuelle Konzeptkünstlerin, technisch begabt dazu – und mit generationstypischem Perfektionsanspruch gesegnet.

Für Vostell kreierte sie drei raumgreifende, teils begehbare Installationen, die inspiriert sind von Wartehallen in Flughäfen. Der Ausstellungstitel „Entrückte Körper – GRU/TXL“ zitiert die Atmosphäre in den Lounges von São Paulo (Kürzel: GRU) und Tegel (Kürzel: TXL): Gemeint sind Menschen im Niemandsland des Wartens – zwischen den globalen Koordinaten von Zeit und Raum.

Um „metaphorische Abstraktion“ geht es Tavares, wenn sie in der Arbeit „Cityscape“ auf glitzerndem Edelstahl acht „Codes des Überlebens“ platziert: Begriffe wie „Sparkling Water“, „Sexo“, „Sundown“ sind zu lesen. Transitreisende, Transzendenz und Transparenz: Glas und Metall nutzt die an der School of the Art of Chicago studierte Künstlerin, um den Eindruck von menschlicher Kälte zu erwecken. Das wärmende Lebendmaterial muss man bei Bedarf dann selbst beitragen: Tavares spielt mit der Möglichkeit, den Rezipienten auch körperlich zum Teil ihres Kunstwerks zu machen. „Es geht mir um Bewusstheit“, sagt sie lächelnd.

Ausflüchte lässt sie nicht gelten: In „Coluna com biombo (Frankfurt Lounge)“ führt sie die Sinnlosigkeit von musikalischer Berieselung und Shopping-Konsum vor. Da zitiert sie den Lebensstil der Fünfziger- und Sechzigerjahre – überkommen und trendy zugleich mutet das an: Die Ambivalenz ist Absicht.

Höhepunkt dennoch: „Exit II (Rotterdam Lounge)“. Von wegen Ausweg. Eine Plattform, die über geländerlose Treppen nur riskant zu erreichen ist, lockt zur Selbsterhöhung. Oben angekommen, setzt der zur Kunst gewordene Kunst-Begeher Kopfhörer auf. Und hört: schnöde Flughafengeräusche. Dem Ohr schmeichelnde Klänge, nämlich gesprochene „Codes“, schweben derweil offen durch den Raum. Die zweifach abgelauschte Realität rangiert als Stimulanz, die in Zwiespalt stürzt: „Reflexionen über sich und die eigene Position in der Gesellschaft“ wünscht Tavares. Ihr Galerist lobt vor allem ihren Hang zum Absurden: „eine Brücke zum Fluxus“, findet er; Fluxus-Künstler wie sein Vater Wolf Vostell gehören fest in sein Programm. Entdeckt hat Rafael Vostell Tavares, sonst Schützling der Galerie Brito Cimono, übrigens auf einer Messe. Und nahm sie prompt im Tausch: gegen eine Ausstellung seines Künstlers MK Kähne in São Paulo.

Dorthin reist Tavares in der Regel über den Umweg Holland, wo sie öffentlichen Raum mit Kunst bestückt. Dagegen ist Vostells Residenz, die mit „galerievostell“ auch neu benannt ist, ein meditativer Ruhepool im Metropolenstress.

GISELA SONNENBURG

„Entrückte Körper_GRU/TXL“ von Ana Maria Tavares in der galerievostell, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg. Vernissage am 7.9., 17–21 Uhr. Ausstellung: bis 18. Oktober, Di–Sa 14–20 Uhr.