Klaustrophobische Splitter

Abschalten und Wegzappen ausgeschlossen: In John Jesuruns auf Kampnagel präsentiertem, beengend dichtem Stück „Slight Return“ verschmelzen Performance und Performer

von ANNETTE STIEKELE

In Zeiten, in denen Hochhäuser nach einer Attacke durch fliegende Brandbomben kartenhausartig in sich zusammenstürzen, ist die Vorstellung, in einem brennenden Hotelaufzug einkaserniert zu sein, nicht sonderlich angenehm. Und manchem wurde es dann auch schnell zuviel, was der amerikanische Performance-Künstler John Jesurun beim Kampnagel-Sommerfestival „Laokoon“ mit der Europapremiere seiner Performance Slight Return auftischte.

Dabei ist diese Veranstaltung natürlich klar mit dem Thema „Geschichte und Gedächtnis im Zeitalter der Globalisierung“ assoziiert. Allerdings nicht berieselnd oder gar unterhaltend. Auf der Bühne fünf Monitore, die einen verräucherten Raum zeigen. Dahinter ein beichtstuhlartiger Kubus, darüber eine Kamera. Plötzlich zeigt jeder Monitor einen anderen Raumausschnitt. Man sieht einen Mann, zusammengekrümmt auf dem Boden im Inneren kauernd. Offenbar ist er dort eingeschlossen und gleichzeitig abgeschlossen von der Welt. Die hat sich durch eine Katastrophe, wahrscheinlich ein Erdbeben oder einen Vulkanausbruch radikal abgewandt.

Die Bildschirme transportieren mal einen Arm, mal den Kopf, mal die Augen in die Außenwelt. Ein Bild des Ganzen wird verweigert. Zwei Stimmen, die eine männlich, die andere weiblich, bombardieren ihn mit Fragen. „Where are you?“, „Who are you?“ Womöglich sind sie Ausdruck des Unterbewussten. Mal nennt er sie Jim oder Steve, mal Bronski, in Anlehnung an die Hintergrundmusik, in der Bronski Beat ihren alten Hit „Dont‘t leave me this way“ singen.

Manchmal scheinen die Stimmen Freunde zu sein, manchmal ihn zu bewachen. Er ist verzweifelt, wirft sich herum, schreit um Hilfe, immer wieder hält er sein verschwitztes Gesicht in die Kamera. Dazu brabbelt er pausenlos vor sich hin, doch natürlich hört ihn niemand – außer den Stimmen. Das Telefon klingelt immer wieder, doch er geht nicht ran. Er schildert eine merkwürdige Geschichte von einer sterbenden Frau namens Claudia, die ihn bat, sie zu töten.

Teilweise ist es für das Publikum mühsam, dem Monolog zu folgen. Es ist eine geradezu Beckettsche Szenerie. Eine Figur, gefangen in einem Moment des Seins. Zurückgeworfen auf das nackte Selbst. Und genau das Gefühl beschleicht den Zuschauer, der sich immer weniger in einer wirklichen Performance wähnt. Eine Situation, die jeder Mensch gern vermeidet. Auch wenn Jimi Hendrix‘ Gitarre noch so beschwingt dazu dröhnt.

John Jesurun hat diese Performance bereits 1994 entwickelt. Der Dramatiker, Regisseur und Designer hat sich in New York den Ruf erworben, in der Nachfolge der Wooster Group und Robert Wilsons zu stehen. In dem kanadisch-mexikanischen Jungschauspieler Ari Brickman hat er einen Performer gefunden, der sich mit Lust auf das Experiment einlässt, vor den Zuschauern Privatheit zu entblößen.

Jesurun geht es weniger um das Dargestellte, als um die Form, die Konfrontation des Zuschauers mit ausschnitthaften Bildern. Man ist zwar daran gewöhnt, von den Medien mit Katastrophen versorgt zu werden. In dieser Performance aber kann sich niemand entziehen: Wegzappen oder Abschalten ausgeschlossen. Hiermit stellt sich Jesurun in einen aktuellen Theaterdiskurs in den USA, bei dem der Performer nicht mehr von der Performance zu trennen ist. Eine verlockende Idee, auch wenn das Bühnenerlebnis damit eher zu einer radikalen Kopfgeburt gerät.