Hauptsache plakativ

Politiker von links und rechts zündeln mit sicherheitspolitischen Themen. Und machen eine Kriminalpolitik, die von sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen weit entfernt ist

Furcht vor Kriminalität ist oftmals das Ergebnis umgeleiteter Ängste und Verklemmungen

Gerade in Hinblick auf den 11. September zündeln Politiker von links und rechts wieder einmal mit kriminal- und sicherheitspolitischen Themen. Ganze Bevölkerungsteile werden unter einen Generalverdacht gestellt. Die Frage ist aber, von wem die Gewalt, die Bürger bedroht, tatsächlich ausgeht. Gewalt fällt nicht vom Himmel, sondern sie ist Produkt gesellschaftlicher Bedingungen – in diesem Fall der zunehmend härter werdenden gesellschaftlichen Umgangsformen. Feindbilder lassen sich schnell auf-, aber nur mühsam wieder abbauen.

Die momentanen „Kriminalpolitiken“ von rechts wie von links greifen nur das auf, was sich plakativ vermarkten lässt. Zu tiefer gehenderen Analysen oder auch nur zur Wahrnehmung solcher reicht es nicht. So wissen wir, dass bereits in den 80er-Jahren 35 Prozent der (deutschen) Männer im Alter von 25 Jahren (formell rechtskräftig) vorbestraft waren, vom Dunkelfeld und der informellen Erledigung von Strafverfahren ganz zu schweigen. Nimmt man die Einstellung von Verfahren durch die Justiz hinzu, sind es über 50 Prozent. Es gibt also nicht die „fiesen“ Kriminellen, die so handeln und so aussehen, wie es man sich das gemeinhin vorstellt. Dennoch wird uns glauben gemacht, dass man Kriminelle erkennen, fangen und wirkungsvoll bestrafen könnte. Man kann sich an ihnen aber höchstens abreagieren und zeigen, wie stark der Staat ist – was beruhigen soll. Oder man zeigt, welch böse Folgen abweichendes Verhalten hat – was abschreckend wirken soll. Positive Folgen hat eine repressive Kriminalpolitik aber trotz gebetsmühlenartig wiederholter Behauptungen von Politikern (fast) aller Couleur nie gehabt.

Nach dem Soziologen Zygmunt Bauman verdammen sowohl Freiheit ohne Sicherheit als auch Sicherheit ohne Freiheit dazu, unglücklich zu werden. Während der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) Ersteres betonen, geht Letzteres eher unter: Die Sicherheit der „Gated Communities“ in den USA ödet längst diejenigen an, die sich dort selbst eingesperrt haben und sich nun auch so fühlen. Seit geraumer Zeit schlägt das „Strafpendel“ wieder einmal in Richtung weniger Freiheit, wobei behauptet, aber nicht bewiesen wird, dass damit mehr Sicherheit verbunden sei. Eine solche Kriminalpolitik ist von sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen weit entfernt.

Nachhaltige, rationale Kriminalpolitik muss auf Integration und Prävention setzen. Dies sind nachgewiesenermaßen die einzigen Merkmale, die nach empirischen Studien mittel- bis langfristig positive Erfolge haben. Wegsperren, draufschlagen oder drohen zeitigt kurzfristige Erfolge: Innenstädte werden sauber, Kriminalitätsraten gehen lokal zurück, weil Taten und Täter verdrängt oder ins Dunkelfeld geschoben werden. In Zeiten von „nachhaltiger Entwicklung“ und Agenda-21-Konferenzen müsste man jedoch stärker über die Konsequenzen einer solch kurzsichtigen Kriminalpolitik nachdenken. Schweizer Kommunen machen uns dies durch „kriminalpolitisch-kriminologische Nachhaltigkeitsanalysen“ vor.

Probleme lassen sich in einem vereinten Europa nicht mehr vor der eigenen Haustür wegfegen. Sie kehren, wie der „Fall Mehmet“ in München anschaulich zeigt, über kurz oder lang zurück. Sich darauf zu verlassen, dass sie sich in der Zwischenzeit von selbst gelöst haben oder andere diese Probleme lösen, ist kurzsichtig und entspricht nicht der Rolle, die Deutschland in der EU spielen will, gerade in der Kriminalpolitik aber nicht spielt. Dies gilt für neue kriminalpolitische Ideen, wo uns andere Länder, etwa die Niederlande, Dänemark und die Schweiz, weit voraus sind. Es gilt aber auch insgesamt für das, was man als „kriminalpolitische Seriosität“ bezeichnen kann: Die Evaluation von neuen Gesetzen ist bei uns noch immer eher unerwünschte Nebenwirkung als notwendiges Steuerungsinstrument. Andere Länder haben erkannt, dass durch fachkundige, unabhängige Evaluation nicht nur die Qualität von Kriminalpolitik gesteigert werden kann, sondern auch Steuermittel zu sparen sind.

Eine nachhaltige, rationale Kriminalpolitik muss auf Integration und Prävention setzen

Doch die Augen vor den schädlichen Folgen repressiver Maßnahmen zu verschließen heißt, zukünftigen Generationen von uns produzierte oder zumindest durch uns eskalierte Probleme zu hinterlassen. Mehr und längere Freiheitsstrafen, Sicherungsverwahrungen oder Abschiebungen „auf Verdacht“ lösen keine Probleme, sie vertagen sie nur. Wer Unordnung verbal mit Unsicherheit verbindet oder gar gleichsetzt, der schürt – meist unberechtigte – Ängste der vordergründig „Braven“ vor dem und den Anderen und Fremden. Die Trennung von angeblich objektiver Sicherheit und subjektivem Sicherheitsempfinden hilft dabei nur bei ortsbezogener, kleinräumlicher, nachbarschaftlicher Betrachtung wirklich weiter. Bundesländer, die stolz auf ihre niedrigen polizeilich registrierten Kriminalitätszahlen sind, müssen vielmehr aufpassen, dass ihre durch die offiziell verkündete Sicherheitspolitik verwöhnten Bürger nicht empfindlicher reagieren als andere. Schon jetzt gibt es keinen empirischen Zusammenhang zwischen der Zahl der polizeilich registrierten Straftaten und dem subjektiven Sicherheitsgefühl. Rheinland-Pfälzer fühlen sich zum Beispiel sicherer als ihre baden-württembergischen Nachbarn und als die Bayern, obwohl die Kriminalitätsbelastung bei ihnen wesentlich höher ist. Ob die Ursache hierfür die Pfälzer Lebensart ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Wir wissen aber, dass Furcht vor Kriminalität oftmals das artikulierbare und häufig von Politikern provozierte Ergebnis umgeleiteter Ängste, Befürchtungen und Verklemmungen ist, deren eigentliche Ursachen ganz woanders liegen: in der Angst vor Arbeitslosigkeit, vor Krankheit im Alter, vor der Über- oder eher Entfremdung von der eigenen Umwelt. Auf „den (anderen) Kriminellen“ oder auf „das Fremde“ projiziert, dient diese Strategie der Entlastung der individuellen Psyche und der Stärkung des gesellschaftlichen Gemeinschaftsgefühls durch Abgrenzung; wirklich konstruktiv ist sie nicht.

Wenn die kriminal- und sicherheitspolitische Entwicklung der letzten Jahre gekennzeichnet ist durch einerseits die Entstaatlichung von Sicherheitsaufgaben durch Privatisierung und Entformalisierung und andererseits durch die Intensivierung der sozialen Kontrolle durch sozial- und ordnungspolitische Maßnahmen, so wird das Netz der formellen sozialen Kontrolle nicht nur weiter, sondern auch dichter geknüpft. Dass darin dann mehr hängen bleiben, ist logisch. Dabei kümmert sich um die „innere Sicherheit“ derjenigen, die davon wirklich und im Wortsinn betroffen sind, kaum einer (laut Opferstudien sind dies die Angehörigen der unteren sozialen Schichten und dort insbesondere Kinder, Jugendliche und Frauen). Und dass dieses formell-informelle Kontrollnetz eine solidarisch getragene und nachhaltig wirksame informelle Kontrolle in Familie und Nachbarschaft nicht ersetzen kann, liegt eigentlich auf der Hand. Nachhaltige, prägende und offensiv gestaltete Kriminalpolitik sieht anders aus. THOMAS FELTES