Die Willigen und die Unwilligen

Bush und Blair streben eine UN-Resolution an, die einen Irakkrieg möglich macht. Das könnte Chirac zum Mitmachen bringen und Schröder befrieden

„Wir werden in den Krieg ziehen, was auch immer ihr sagt“

von DOMINIC JOHNSON

Es gehört zum Regierungsstil Tony Blairs, dass er immer wieder den Eindruck erwecken muss, als stünde der entscheidende Höhepunkt seines Wirkens gerade bevor. Als das wichtigste Gipfeltreffen seiner Amtszeit wurde von britischer Seite seine dreistündige Irakkriegsberatung mit George Bush in Camp David am Samstag bezeichnet, und als die schwerste und größte Aufgabe seiner Geschichte scheint er es nun zu sehen, den Rest der Welt vom Sinn einer Militäraktion zum Sturz Saddam Husseins zu überzeugen.

„Wir stehen am Anfang einer Debatte“, sagte Blair nach dem Treffen mit Bush, auf dem die beiden Führer keinen Hehl aus ihrer Absicht machten, einen „Regimewechsel“ im Irak herbeizuführen. „Die Leute sollten uns vertrauen, dass wir dieses Thema vernünftig und maßvoll angehen. Wir haben das mit Afghanistan und im Kosovo gemacht und werden es wieder tun.“ Er stellte erneut klar: „Die Politik des Nichtstuns ist keine, die wir verantwortlich mittragen können.“

Fast gleichzeitig trafen sich Gerhard Schröder und Jacques Chirac in Hannover und kamen – so zumindest die Darstellung des Deutschen – zu einem gegensätzlichen Schluss. Es gebe, bilanzierte Schröder, Einigkeit zwischen Deutschland und Frankreich in vier Punkten: keine einseitige Aktion der USA; eine Lösung des Irakproblems über den UN-Sicherheitsrat; eine bedingungslose Rückkehr der UN-Waffeninspektoren in den Irak; und keine Veränderung der Zielsetzung in Richtung eines Regimewechsels.

Während die US-Regierung solcher Kritik an ihrer Irakpolitik mit Nichtachtung begegnet, versucht Tony Blair, der selbst ernannte Missionar „für das Gute in der Welt“, sie aktiv zu entkräften und die Gegensätze aus der Welt zu schaffen. Vorletzte Woche forderte er die USA dazu auf, internationale Unterstützung zu suchen, und in Camp David hat er mit Bush die Marschroute vereinbart. Am Donnerstag wird George Bush der UN-Vollversammlung erklären, warum Saddam Hussein beseitigt werden muss. Zentral dabei wird die Darstellung sein, wonach der Irak an einem neuen Atomwaffenprogramm arbeitet. Zugleich schreiben britische Diplomaten einen Resolutionsentwurf für den UN-Sicherheitsrat. Darin wird dem Irak voraussichtlich eine Vierwochenfrist gesetzt, um die Rückkehr von UN-Inspektoren zuzulassen. Sollte Saddam Hussein sich weigern, wäre eine militärische Durchsetzung von Waffeninspektionen erlaubt.

Die Argumentationshilfen sind einfach: Schröder und Chirac sind gegen eine einseitige Aktion der USA? Dann muss halt jemand mitmachen. Der UN-Sicherheitsrat soll eingeschaltet werden? Dann soll er den Resolutionsentwurf verabschieden. Die Waffeninspektoren sollen zurück? Gerne, aber dann müssen sie auch überallhin dürfen. Keine Veränderung der Zielsetzung? Das Ziel war doch immer laut UN-Resolution 673, die den letzten Golfkrieg 1991 legitimierte, Sicherheit und Frieden in der ganzen Region. „Nicht Inspektionen sind das Ziel, sondern Entwaffnung“, sagte US-Außenminister Colin Powell am Wochenende. „Die Inspektoren sind ein Weg, dieses Ziel zu erreichen. Das Regime zu stürzen ist ein anderer Weg. Vielleicht gibt es eine Kombination verschiedener Mittel.“

Die neue amerikanisch-britische Haltung besteht darin, UN-Inspektionen und einen Regimewechsel im Irak nicht mehr als konträr zu begreifen, sondern als komplementär. Hier ist die Überlegung folgende: Ein neues UN-Inspektorenregime soll dermaßen robust sein, dass es automatisch zum Krieg führen kann. 20.000 bis 50.000 Soldaten, vielleicht sogar mit UN-Mandat, sollen an den irakischen Außengrenzen stationiert werden und im Irak einmarschieren, sobald Saddam Hussein den UN-Inspektoren in die Quere kommt. Ein US-Außenamtsbeamter sagte in Camp David: „Sobald die Irakis sagen, die Inspektoren dürfen irgendeinen Palast nicht betreten, war’s das. Irak wird eine Resolution der UNO gebrochen haben – mit allem, was das bedeutet.“

„Nicht Inspektionen sind das Ziel, sondern Entwaffnung“

Das kommt den innenpolitischen Kritikern eines Krieges entgegen, die in Großbritannien besonders stark sind. Zwei Drittel der Briten sind laut Umfragen gegen eine britische Beteiligung an einem einseitigen US-Krieg gegen den Irak – aber drei Viertel wären laut einer Umfrage des gestrigen Independent on Sunday für einen UN-Militärschlag. Mit dem gleichen Solidarisierungseffekt rechnen London und Washington auch bei den anderen ständigen UN-Sicherheitsratsmitgliedern Frankreich, Russland und China.

Frankreichs Präsident Chirac machte bei dem Treffen mit Bundeskanzler Schröder bereits klar, die Haltungen Frankreichs und Deutschland seien nicht identisch. Eine eigene Position werde Frankreich erst nach einem UN-Beschluss festlegen, sagte er und ließ damit alle Optionen offen. Paris ist im Begriff, seine Außenpolitik unter der neuen Rechtsregierung in altes gaullistisches Fahrwasser zurückzulenken: Es wahrt lieber Einflusssphären als Prinzipien; es konzentriert sich wieder auf seine traditionellen Einflussgebiete Afrika und Naher Osten und würde daher einen Sturz Saddam Husseins mittragen, wenn es im Gegenzug die politische Zukunft des Irak mitgestalten kann.

Denn in der Hinterhand haben London und Washington immer noch die Drohung, dass sie auch dann aktiv werden, wenn der UN-Sicherheitsrat seine Zustimmung verweigert. Man habe dann zumindest nichts unversucht gelassen, so die Analyse. Ein britischer Diplomat in Camp David äußerte sich, an die Adresse Kontinentaleuropas gerichtet, ganz offen: „Die Leute scheinen zu vergessen, dass wir den Kosovokrieg ohne Billigung der UNO führten. Wir werden in den nächsten Monaten in den Krieg ziehen, und Saddam wird gestürzt, was auch immer ihr sagt. Wenn ihr irgendeinen Einfluss auf die Ereignisse wollt, solltet ihr die USA unterstützen.“ So spielt Blair ganz bewusst mit Europas Großmachtträumen. Auf der europäischen Bühne wiederholt er, was er einst erfolgreich mit der britischen Labour-Partei anstellte: Er stellt seine Kritiker vor die Wahl zwischen ihren Werten und der Macht.