Plastikbabys für Probemütter

Eine „Baby-Bedenkzeit“ soll Teenagerinnen für die Belastungen einer Mutterschaft sensibilisieren

Elendes Gejammer dringt aus den gespitzen, rosigen Plastikmündern. Mädchen tragen mit gequälten Gesichtern Puppen auf dem Arm und versuchen sie zu beruhigen. „Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich hab’ doch schon alles versucht,“ klagt Stefanie und rubbelt ihrer Puppe hektisch über den Rücken. Andere sitzen erschöpft auf der Fensterbank neben ihren Schützlingen. „Mutter“ Janina ist froh ein paar Minuten Pause zu haben.

Zehn Neuntklässlerinnen der Gesamtschule West nehmen an dem Projekt „Baby-Bedenkzeit“ teil. 14- und 15-jährige Schülerinnen sollen lernen, was es heißt, Mutter eines Kindes zu sein. „Das ist so wichtig, weil viele Mädchen schwanger werden und völlig falsche Erwartungen und Hoffnungen an ein Baby knüpfen“, sagt Iris Schöning. „Wenn sie dann die Realität erleben, sind sie oft völlig überfordert.“

Schöning arbeitet in der „Casa Luna“, einer Einrichtung für junge Mütter ab 13 Jahren. Dort hat sie erlebt, wie die erst sehnsuchtsvoll erwarteten Kinder zur Last werden. Irgendwann merkten die Mädchen, dass ihnen durch die Kinder ein großer Teil ihrer Freiheit abhanden kommt. „Dann geht es nicht mehr, alle zwei Wochen einen neuen Freund zu haben und über Nacht einfach wegzubleiben.“

Viele der jungen Mädchen haben Probleme in der Schule, brechen ab und suchen in der Mutterrolle Anerkennung. „Sie wollen Zärtlichkeit bekommen, rechnen aber nicht damit, dass sie nach der Geburt des Kindes lange Zeit erst mal nur geben müssen“.

Deshalb hat jedes der Mädchen für vier Tage ein „Baby“ mitsamt Geburtsurkunde bekommen. Innerhalb dieser Zeit müssen sie 24 Stunden für das Kind da sein. Während der ersten zwei Tage werden sie noch betreut, den dritten verbringen die Mädchen mit ihren „Probe-Babys“ alleine. In dieser Zeit sollen sie dann ein Verantwortungsgefühl für ihre kleinen „Kinder“ entwickeln.

Jedesmal wenn eine Puppe zu schreien beginnt, fängt eins der Mädchen an, nervös an der Kleidung ihres Schützlings zu nesteln. Um herauszufinden, was das Bedürfnis des „Kindes“ ist, müssen sie eine elektronische „ID-Karte“ am Arm mit einem Chip auf dem Rücken der Puppe in Verbindung bringen. „Das signalisiert dem Kind, dass die Mutter in der Nähe ist“, erklärt Janina. Wenn es auch noch piept, müssen andere Maßnahmen her: „Entweder hat mein Jerome Hunger, Durst oder braucht eine frische Windel.“

Eigentlich sollten auch Jungen an dem Training teilnehmen. Für sie soll es jetzt aber noch eine separate Veranstaltung geben „Ansonsten hätte es zu viel Gekicher gegeben“, meint Sonja Heinrich, im Amt für Soziale Dienste für den Jugendschutz zuständig. Unter sich nehmen die Schülerinnen ihre neue Rolle ziemlich ernst. Janina findet, dass „es fast ist wie ein echtes Baby zu haben“ – auch wenn es ihr schon ein bisschen peinlich ist, draußen mit dem „Kind“ rumzulaufen.

Charlotte Salow