Kein Aufatmen in der bürgerlichen Hölle

Kontinuierliche eheliche Gesprächsstörungen und zweckorientierte Lösungen: Stephan Kimmig liefert mit Henrik Ibsens „Nora – Ein Puppenheim“ die zweite Premiere der beginnenden Spielzeit am Thalia Theater

Fremdheit, Dialogunfähigkeit und Egoismus – ohne diese Merkmale wären Partnerschaften gestern wie heute vielleicht gar nicht als solche erkennbar. Sie bilden die Kernpunkte in Stephan Kimmigs Inszenierung von Ibsens Nora, die jetzt im Thalia Theater mit Susanne Wolff und Norman Hacker in den Hauptrollen Premiere hat.

Henrik Ibsen, bekannt für seine analytischen Dramen, schrieb Nora 1879 unter dem Titel Ein Puppenheim: Nora ist mit dem Karrieristen Helmer verheiratet, sie haben drei Kinder, alles scheint im Lack. Dann jedoch holt Nora ihre Vergangenheit ein. Der korrekte Helmer erfährt, dass Nora mit gefälschter Unterschrift Geld geliehen hat. Die tat das zwar, um ihm das Leben zu retten, aber angesichts seiner gesellschaftlichen Stellung findet er es trotzdem unerhört. Es kommt zum Bruch zwischen den Eheleuten, Nora verlässt aus Enttäuschung über die Selbstbezogenheit ihres Mannes die Familie, um sich selbst zu finden.

Ibsen führte mit dem Stück einen Schlag gegen die doppelmoralische bürgerliche Gesellschaft Norwegens, die besonders Frauen ein selbstbestimmtes Leben vorenthielt, und provozierte einen Skandal. Stephan Kimmig dagegen, der am Thalia zuletzt Wie es euch gefällt und in der Gaußstraße Nicht in den Mund inszenierte, ist weit von einem Abend über die Selbstbefreiung einer Frau entfernt. Besonders Ibsens krasse „Lösung“, Noras Weggehen, nimmt er dem Autor nicht ab. Für ihn lautet die zentrale Frage, ob man überhaupt aus dem Beziehungssumpf der vielen Fragen rauskann: „Das funktioniert nicht so als Entscheidung, dass man sagt: Ich gehe jetzt hier weg. Die Figuren bewegen sich in einer bürgerlichen Hölle. Da ist es zu schlicht zu sagen, man könnte da einfach so raustreten und dann wäre es irgendwie besser. Ist es nicht.“

Der Regisseur diagnostiziert bei ausnahmslos allen Figuren eine Unfähigkeit zum Kommunizieren. Wenn sie reden, gehen sie nur vermeintlich aufeinander ein. Auch das andere Paar des Stücks, Krogstad (Stephan Schad) und Frau Linde (Victoria Trauttmannsdorf), ist sich bei Kimmig im Gegensatz zu Ibsen gleichermaßen fremd. Ihre rein pragmatische Entscheidung, zusammenzuleben, stellt für ihn kaum eine prickelndere Alternative dar. Neben dem Sich-fremd-Bleiben und den unüberbrückbaren Abgründen fokussiert Kimmig den kapitalistischen Traum – und lässt ihn platzen. Denn als Nora und Helmer endlich finanziell gut dastehen, kommt es zum Eklat. Kimmig: „Erst ganz viel schaffen, und dann kommt das goldene Zeitalter meines kurzen Lebens – leider setzt da die Fabel ein, wo das ganze Kartenhaus zusammenbricht.“

Doch eine Flucht aus dem Kartenhaus – dem Puppenheim – ist für den Regisseur undenkbar: „Ich glaube nicht, dass es diese Befreiung so geben kann. Ich glaube, dass es kein Aufatmen gibt.“

Liv Heidbüchel

Premiere: Samstag, 14. September, 20 Uhr; B-Premiere: Sonntag, 15. September, 19 Uhr, Thalia