: Geliebtes Gurkensandwich
In Oliver Parkers Verfilmung von Oscar Wildes „Ernst sein ist alles“ verschwindet der Sarkasmus hinter Blumen
Paradox, Paradox! In dieser „trivialen Komödie für ernsthafte Leute“ werden Männer aufgrund ihres Namens geheiratet. Ernst muss er heißen, denn nur dieser eine Name flößt einer Frau „unbedingtes Vertrauen“ ein. Was natürlich von grobem Unernst zeugt und, wir befinden uns in einem Stück von Oscar Wilde, von viktorianischer Doppelmoral. Gute alte Freundin viktorianische Doppelmoral. Was wäre die englische Literatur ohne sie?
Der Schein muss gewahrt werden, und heißt und ist einer gerade nicht Ernst, tauft er sich eben um. Das Lustige an Wilde war ja, dass er an solchem Unsinn überhaupt nichts auszusetzen hatte. Das aristokratische Wortgeplänkel seiner Komödien brauchte diesen doppelten Boden. Und „The Importance of Being Earnest“, sein berühmtestes und absurdestes Stück, ganz besonders. Beispiel? „Die ganze Theorie von moderner Erziehung ist von Grund auf ungesund. Zum Glück bringt wenigstens in England die Erziehung keinerlei Erfolge hervor.“ Wie paradox. Wie wahr. Die Liebe zur Literaturverfilmung ist den Engländern offenbar nicht auszutreiben.
Es geht um Heiratspläne, schicke Wohnlagen, Kuchen zum Tee, vor allem aber um Gurkensandwiches – offenbar das ultimative Statussymbol der hier karikierten Gesellschaft. Zumindest ein Mittel, um en passant ernste Dinge wie Klassendünkel, verwirrte Identitäten oder den schwierigen Abgleich von „public and private life“ zu verhandeln. Der Landadlige Jack will die hochwohlmögende Gwendolen heiraten. Leider kennt und will ihn Gwendolen nur unter seinem Stadtnamen Ernst. Sein Freund, der hoch verschuldete Dandy Algernon, steckt im selben Dilemma. Nach einigen losen Reden gegen die Ehe hat er sich in Jacks forsches Mündel Cecily verliebt. Das ausgeklügelte System des „Bunburying“ – eine vortreffliche Methode, Verpflichtungen jederzeit aus dem Weg gehen zu können – droht aufzufliegen.
Zum Glück gibt es in Wildes Welt kein Problem, das sich nicht mit hübschen Aphorismen aus derselben schaffen ließe. „In Dingen von schwerwiegender Bedeutung ist Stil das Wesentliche, nicht Aufrichtigkeit.“ Was aber tut eine Verfilmung, wenn sich der Zwang zur originellen Phrase mit veränderten Verhältnissen erledigt hat? Regisseur Oliver Parker greift zu Baz Luhrmanns Methode der anachronistischen Umcodierung. So lässt sich die vermeintlich züchtige Gwendolen den vermeintlichen Namen ihres Liebsten auf den Hintern tätowieren. Und London anno 1895 swingt, im US-Ragtime der 1910er-Jahre.
Doch es hilft nicht. Wildes Sarkasmus ist zu versteckt, sodass er hinter Federhüten, Zylindern und Blumengebinden verschwindet. Vielleicht hätte Parker die Verweise auf das gefährliche Doppelleben des Autors ins Bild setzen sollen. Etwa die, nach einer neueren Interpretation, homosexuelle Konnotierung von „earnest“ im viktorianischen Sprachgebrauch. Wildes Kunst, jeden zum Lachen zu bringen, ist heute wesentlich billiger zu haben.
So bleibt es beim koketten Salonstück mit brillanten Dialogen. Talent borgt, Genie stiehlt, hätte Wilde dazu gesagt. Bei der Besetzung verfährt der talentierte Mr. Parker nach der gänzlich unparadoxen Devise „Never change a winning team!“ Schon in seiner Wilde-Adaption „An Ideal Husband“ war der britische Schnösel Rupert Everett als blasiert augenrollender Dandy zu bewundern. Nun steht ihm der verkniffene Colin Firth als Jack zur Seite: ein begnadetes Opfer aller möglichen Demütigungen, stammten sie nun von Algernon oder seiner grässlichen Tante Lady Bracknell (Judi Dench). Alle glänzen, aber eine wichtigere Rolle spielen vermutlich doch die Gurkensandwiches. Und überhaupt alles, was damals in Mode war. Wilde selbst war kurz nach der glanzvollen Premiere übrigens nicht mehr in Mode, sondern im Gefängnis. Kein Paradox. Eher viktorianische Doppelmoral. PHILIPP BÜHLER
„Ernst sein ist alles“, Regie: Oliver Parker. Mit Rupert Everett, Colin Firth, Judi Dench u. a., USA/Großbritannien 2002, 96 Min.
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